
DIN-Norm = Allgemein anerkannte Regel der Technik?
Entspricht das funktionsfähige Werk im Zeitpunkt der Abnahme den allgemein anerkannten Regeln der Technik, so ist es mängelfrei. Bei DIN-Normen handelt es sich um private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter, die nicht in jedem Fall die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Allerdings besteht bei DIN-Normen die Vermutung, dass sie diese Regeln wiedergeben, sodass derjenige, der die DIN-Norm "zu Fall bringen" will, hierfür beweispflichtig ist, z. B. durch Sachverständigengutachten. Dies hat das OLG Dresden in einem Urteil vom 16. August 2022 (14 U 1140/21) entschieden.
Der Fall: AG beauftragt AN mit Dachdeckerarbeiten an einem Schuppen, ohne dass einzelne Details festgelegt werden. AN führt die Dachschalung in Glattkantbrettern aus. AG meint, die Bretter hätten gespundet und mit Nut und Feder versehen sein müssen. Es liege ein Verstoß gegen die DIN 18531 vor, weshalb AG auf Rückzahlung bereits geleisteter Abschlagszahlung von rund 21.000,00 € klagt. Das Gericht holt das Gutachten eines Sachverständigen ein, der zu dem Ergebnis kommt, die ausgeführten Arbeiten seien nicht nur mängelfrei, die Verwendung von gehobelten und gespundeten Schalungen sei bei Schuppen der hier vorliegenden Art auch absolut unüblich. Die von AN gewählte Ausführung weise keine Mängel auf.
Das Urteil: Das OLG Dresden führt zunächst aus, dass AN das Werk so herzustellen gehabt habe, dass es nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern, § 633 Abs. 2 BGB. Das Werk (hier das Schuppendach) muss für die gewöhnliche Verwendung geeignet sein und den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Ob die DIN 18531 hier überhaupt Anwendung finde, könne offenbleiben, denn jedenfalls könne die Vermutungswirkung, dass eine DIN die anerkannten Regeln der Technik wiedergibt, "zu Fall gebracht" werden. Hierfür obliege dem AN der Beweis, der im vorliegenden Fall durch das eindeutige Gutachten des Sachverständigen geführt sei.
Fazit: Oft werden DIN-Normen und auch Herstellerrichtlinien vorschnell als allgemein anerkannte Regeln der Technik bewertet. Dies ist indes - wie das vorliegende Urteil anschaulich zeigt - so nicht richtig. Eine anerkannte Regel der Technik ist vielmehr eine solche, die sich zum einen theoretisch bewährt hat, zum anderen von der Mehrzahl der Fachpraktiker als allgemein gültig anerkannt wird. Es liegt auf der Hand, dass nicht alle DIN-Normen diesen Voraussetzungen entsprechen. So können z. B. ältere DIN-Normen bereits durch neuere Entwicklungen überholt sein, ebenso können ganz neue DIN-Normen natürlich noch nicht die Anerkennung der Mehrzahl der Berufspraktiker erlangt haben. Allerdings: Das OLG Naumburg spricht den DIN-Normen eine Vermutungswirkung zu. Daher muss derjenige, der behauptet, die DIN-Norm entspreche nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik, eben dies beweisen. Und darüber hinaus: Ob die aktuelle Rechtsprechung des BGH diese Vermutungswirkung aktuell noch gelten lässt, ist zumindest zweifelhaft.