Bei Umsatzangaben: Was sind „abgeschlossene Geschäftsjahre“?

Bei Umsatzangaben: Was sind „abgeschlossene Geschäftsjahre“?

Bei Umsatzangaben: Was sind „abgeschlossene Geschäftsjahre“?

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Die Vergabekammer (VK) Sachsen-Anhalt hat mit Beschluss vom 16.01.2025 – 2 VK LSA 14/24 – folgendes entschieden:
1. Bieter müssen den Vergabeunterlagen deutlich und sicher entnehmen können, welche Erklärungen wann und in welcher Form abzugeben sind. Andernfalls scheidet ein Angebotsausschluss wegen fehlender Erklärungen aus.
2. Die Formulierung "abgeschlossene Geschäftsjahre" im Formblatt 124 LD VHB ist bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters mehrdeutig und lässt unterschiedliche Interpretationen zu.
3. Soweit der öffentliche Auftraggeber von den Bietern lediglich Angaben zu Umsätzen der vergangenen drei Kalenderjahre fordern will, ohne dass hierfür ein Jahresabschluss vorliegen muss, hat er dies unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte eine Dienstleistung im offenen Verfahren im Jahr 2024 europaweit ausgeschrieben. Zur Eignung in Bezug auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit enthielten die Bekanntmachung sowie die Vergabeunterlagen folgende Ausführungen: "Durchschnittlicher Jahresumsatz des Bieters in den letzten 3 abgeschlossenen Geschäftsjahren von mindestens 200.000 EUR (netto) - bezogen auf den Auftragsgegenstand inkl. aller Teilleistungen." Diese Angaben des Bieters konnten mit dem Formblatt 124 LD VHB (künftig als Eigenerklärung benannt) abgegeben werden. Das Formblatt war Bestandteil der Vergabeunterlagen. Anstatt Umsatzzahlen für die Jahre 2021 - 2023 zu benennen, gab Bieter A seinen Umsatz für die Jahre 2020 - 2022 an. Der AG sah darin keine fehlende, sondern eine unrichtige Erklärung, die einer Nachforderung nicht zugänglich sei. B wandte sich gegen den beabsichtigten Ausschluss seines Angebots. Das Geschäftsjahr 2023 sei bei ihm zum Ende der Angebotsfrist noch nicht abgeschlossen gewesen; dafür legte er eine Bestätigung seines Wirtschaftsprüfers vor. Der AG schloss das Angebot aus – mit dem Argument, in den Vergabeunterlagen seien keine geprüften oder testierten Jahresabschlüsse verlangt worden. Daher und erst recht im Zusammenhang mit Eigenerklärungen komme es nicht darauf an, ob das Geschäftsjahr im buchhalterischen Sinne, z.B. durch einen testierten Jahresabschluss, abgeschlossen sei. A beantragte Nachprüfung.
Die VK gibt Bieter A Recht; das Angebot ist zu Unrecht ausgeschlossen worden.
Nach der Rechtsprechung des BGH korrespondiere mit der Ausschlusssanktion für Angebote, welche geforderte Erklärungen nicht enthielten (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV, § 13 EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A), die Verpflichtung der Auftraggeber, die Vergabeunterlagen so eindeutig zu gestalten, dass die Bieter ihnen deutlich und sicher entnehmen könnten, welche Erklärungen von ihnen in welchem Stadium des Vergabeverfahrens abzugeben seien. Genügten die Vergabeunterlagen dem nicht, dürfe der Auftraggeber ein Angebot nicht ohne weiteres wegen Fehlens einer entsprechenden Erklärung aus der Wertung nehmen, sondern müsse dieses Defizit der Vergabeunterlagen ausgleichen und den Bietern Gelegenheit geben, die fraglichen Erklärungen nachzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013 – X ZR 155/10).
Die Formulierung "abgeschlossene Geschäftsjahre" sei bei einer Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines fachkundigen Bieters mehrdeutig und lasse unterschiedliche Interpretationen zu. Die Forderung könne einerseits so verstanden werden, dass es sich grundsätzlich um die letzten drei Kalenderjahre vor Beginn des Vergabeverfahrens handele (so hier auch das Verständnis des AG). Hiernach komme es auf das Vorliegen von Jahresabschlüssen nicht an. Dafür spreche, dass der Auftraggeber an möglichst aktuellen Zahlen interessiert sei.  Aus seiner Sicht sei auf die gegenwärtige Situation des Bieters abzustellen, um dessen Eignung beurteilen zu können. Ferner spreche dafür, dass der AG von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, als Beleg für die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit des Bieters lediglich eine Eigenerklärung über den Umsatz zu verlangen (vgl. § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV; § 6a EU Nr.2c VOB/A). Er habe davon abgesehen, i. S. d. § 45 Abs. 4 Nr. 3 VgV (§ 6a EU Nr. 2 b VOB/A) die Vorlage von Jahresabschlüssen zu fordern. 

Dieses Verständnis sei jedoch nicht zwingend. Gegen die vorgenannte Auslegung spreche andererseits u. a., dass der AG in der Auftragsbekanntmachung und der Eigenerklärung abweichend von dem Wortlaut des § 45 Abs. 4 Nr. 4 VgV Angaben zu "abgeschlossenen Geschäftsjahren" (nicht allein zu Geschäftsjahren) gefordert habe. Ferner seien Angaben zu vergleichbaren Leistungen (Referenzen) in der Auftragsbekanntmachung für die "letzten drei Geschäftsjahre" und in der Eigenerklärung für die letzten "drei Jahre" gefordert worden. Schon allein aufgrund dieser unterschiedlichen Formulierungen habe ein fachkundiger Bieter den Schluss ziehen können, der AG beziehe sich bei der Angabe der Umsätze nicht auf die letzten drei Kalenderjahre. Auch aus kaufmännischer Sicht setze ein "abgeschlossenes Geschäftsjahr" das Vorliegen eines Jahresabschlusses voraus. In entsprechender Weise habe das für Bauwesen des Bundes zuständige Ministerium mit Erlass vom 26.02.2020 ("Interpretation VOB/A 2019 - Az.: 70421/21) diesen Begriff interpretiert. Nach diesem Erlass seien für die Umsatzangaben die letzten drei Geschäftsjahre zugrunde zu legen, für die entsprechende Jahresabschlüsse beim jeweiligen Bieter vorlägen. Angaben zu Umsätzen aus noch nicht abgeschlossenen Geschäftsjahren schulde der Bieter auch dann nicht, wenn er sein Geschäftsjahr während des Vergabeverfahrens, aber nach Ablauf der Angebotsfrist abschließe. Auch wenn sich dieser Erlass auf die VOB/A beziehe, sei Gegenstand der Auslegung der Begriff "abgeschlossene Geschäftsjahre". Einem Bieter könne aber nicht angelastet werden, diesen Begriff wie das Ministerium zu verstehen.

Anmerkung:

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass der AG auch bei der geforderten Angabe von Umsatzzahlen Mehrdeutigkeiten unbedingt verhindern sollte bzw. hinsichtlich der zurückliegenden Geschäftsjahre eindeutig angeben sollte, was tatsächlich gemeint ist.
Da ein Angebotsausschluss für den Auftraggeber regelmäßig die „ultima ratio“ sein sollte, hätte man hier dem AG geraten, sowohl seine eigene Ausschreibung als auch die Angaben des Bieters erst einmal auszulegen, dann aufzuklären und danach evtl. nachzufordern, bevor an einen Angebotsausschluss zu denken war.