Zur Rügepflicht des Bieters bei erkennbaren Vergabeverstößen

Zur Rügepflicht des Bieters bei erkennbaren Vergabeverstößen

Zur Rügepflicht des Bieters bei erkennbaren Vergabeverstößen

  • Leitsätze & Urteile

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 04.12.2023 – 11 Verg 5/23 – u.a. folgendes entschieden:

1.  Die Rügepflicht nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB greift ein, wenn ein durchschnittlicher Bieter im Rahmen seiner laienhaften rechtlichen Wertungsmöglichkeiten erkennen kann, dass es "so nicht geht".
2.  Kann der Bieter erkennen, dass Eignungs- und Wertungskriterien hinsichtlich der Vorlage von Referenzen nicht getrennt, sondern vermengt worden sind und dass entweder eine Doppelverwertung vorliegt oder nicht erkennbar ist, was in welchem Kontext geprüft werden soll, ist eine Rügepflicht nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB begründet.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Reinigungsdienstleistungen im offenen Verfahren in zwei Losen europaweit ausgeschrieben. Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit sollten die Bieter jeweils zwei Referenzen über vergleichbare Leistungen vorlegen. Bei den Zuschlagskriterien wurden folgende Kriterien vorgegeben: Preis (60%), durchschnittlicher Leistungswert (qm/Stunde) aller Raumgruppen (35%) und die Vorlage von Referenzen (5%). Zu Letzterem hieß es: „Erbringt der Bieter die erforderlichen Referenzen, so erhält er die volle Punktzahl von 5 Punkten“. Nachdem Bieter A vom AG die Vorabinformation gemäß § 134 GWB erhalten hatte, dass sein Angebot nicht den Zuschlag erhalten sollte, rügte er die Doppelverwertung der Referenzen als Eignungs- und als Zuschlagskriterium. Nach erfolgloser Rüge stellte er Antrag auf Nachprüfung, der von der VK zurückgewiesen wurde. Dagegen legte A sofortige Beschwerde zum OLG ein.

Nach Ansicht des OLG hat die Beschwerde des A keinen Erfolg. Die Rüge des A bezüglich der Doppelverwertung der Referenzen sowohl als Eignungs- als auch Zuschlagskriterium sei gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert, daher der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig.

Nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB sei ein Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.

Für die Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften sei auf einen durchschnittlichen Bieter und dessen laienhafte rechtliche Wertungsmöglichkeiten abzustellen. Deshalb genüge einerseits die Erkenntnis, dass es "so nicht geht". Andererseits könne sich der Bieter der Rügepräklusion nicht dadurch entziehen, dass er den Rechtsfehler im Nachprüfungsverfahren mit Unterstützung seines Rechtsanwalts einer klareren juristischen Zuordnung unterziehe. Im Streitfall genüge es daher, dass der Bieter habe erkennen können, dass Eignungs- und Wertungskriterien hinsichtlich der Referenzen nicht getrennt, sondern vermengt worden seien und dass entweder eine Doppelverwertung vorliege oder nicht erkennbar sei, was in welchem Kontext geprüft werden solle.


Ein durchschnittlicher Bieter, auf den für die Erkennbarkeit abzustellen sei, kenne die Grundstrukturen des Vergabeverfahrens und damit auch die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Eignungs- und Wertungskriterien. Er wisse, dass es kein Mehr oder Weniger an Eignung im Sinne des § 122 GWB gebe und Eignungs- und Wertungskriterien grundsätzlich zu trennen seien. Er würde, weil er sich für die Ausarbeitung seines Angebots mit beiden befassen müsse, erkennen, dass die Referenzen bei Los 1 sowohl bei der Eignung als auch bei den Angebots-Wertungskriterien Berücksichtigung fänden. Er würde außerdem erkennen, dass die Referenzen auch bei den Wertungskriterien als "erforderlich" bezeichnet seien und man bei ihrer Erbringung 5 Punkte erhalte und eine abgestufte Wertung nach dem Wortlaut nicht vorgesehen sei. Schon daraus würde er erkennen, dass der AG Eignungs- und Wertungskriterien nicht hinreichend voneinander getrennt habe.

Denn selbst wenn der Bieter annähme, der AG wolle hier Unterschiedliches prüfen (was sich aus dem Wortlaut der Kriterien aber nicht ergebe), fehle ihm jeder Anhaltspunkt, was dann Gegenstand der Eignungsprüfung und was Gegenstand der Wertung sein solle. Er könne damit erkennen, dass entweder im Zuge der Wertung nochmals die Eignung berücksichtigt werde oder sich die (abweichenden) Wertungskriterien aus den Vergabeunterlagen nicht erkennen ließen. Er könne dabei auch erkennen, dass durch die Doppelnennung der Referenzen letztlich auch unklar bleibe, ob die Eignung auch ohne Vorlage von geeigneten Referenzen allein aufgrund der Eigenerklärung bejaht werden könne.

Allein diese Erkennbarkeit begründe die Rügeobliegenheit hinsichtlich der Unzulässigkeit der Verwertung der Referenzen bei der Wertung nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB und schließe eine zulässige Rüge – wie hier - erst nach Ankündigung des Zuschlags an einen Dritten aus.


Anmerkung:

Auch wenn man durchaus der begründeten Meinung sein könnte, ob das OLG hier nicht die Maßstäbe für die Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes für die Bieter äußerst hoch ansetzt, bleibt als Quintessenz festzustellen, dass Bieter in den Vergabeunterlagen auch die Abgrenzung zwischen Eignungs- und Wertungskriterien sorgfältig prüfen sollten. Angesichts der hier gegebenen Unklarheit darüber, was im Einzelnen auf welcher Ebene geprüft bzw. gewertet werden sollte, wäre hier der Bieter A gut beraten gewesen, dies frühzeitig d.h. jedenfalls noch vor Angebotsabgabe, durch eine Bieterfrage aufzuklären oder zu rügen, um dem Risiko einer Rügepräklusion wirksam zu entgehen.