Zur ordnungsgemäßen Erhebung einer Verfahrensrüge

Zur ordnungsgemäßen Erhebung einer Verfahrensrüge

Zur ordnungsgemäßen Erhebung einer Verfahrensrüge

  • Vergaberecht & Baurecht
  • 12 Min

Die Vergabekammer (VK) Rheinland hat mit Beschluss vom 23.07.2024 – VK 28/24 – u.a. folgendes entschieden:
1. Die Rüge ist eine zwingend von den Vergabekammern von Amts wegen zu beachtende Sachentscheidungsvoraussetzung. Ohne vorherige Rüge ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig.
2. Für eine den Anforderungen des § 160 GWB genügende Rüge ist erforderlich, dass aus ihr für den Auftraggeber unmissverständlich hervorgeht, welches Verhalten als Vergaberechtsverstoß angesehen wird und inwiefern der Bieter vom Auftraggeber Abhilfe verlangt.
3. Für eine fristgemäße Rüge ist deren Zugang beim Auftraggeber relevant und nicht deren Absendung. Der "O.K."-Vermerk auf dem Sendebericht ist jedenfalls dann irrelevant, wenn der Empfänger den Zugang substantiiert bestreitet.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen europaweit ausgeschrieben. Bieter A, der ein Angebot abgegeben hatte, wurde aufgefordert, u.a. Nachweise zu seinen Umsätzen wie zu vergleichbaren Referenzprojekten vorzulegen, was A fristgemäß tat. Mit Schreiben gemäß § 134 GWB teilte ihm der AG am 29.05.2024 den Ausschluss seines Angebotes mit, da die vorgelegten Nachweise des A ungenügend seien. Mit Einwurf - Einschreiben vom 07.06.2024, das am 13.06.2024 beim AG einging, rügte A den Ausschluss. Am selben Tag rügte A auch per fünfseitigem Fax, das laut Sendebericht die Angabe „Übertr. ok“ enthielt. Dieses Fax ging aber nur unvollständig beim AG ein. Aus den ersten beiden Seiten ergab sich, dass es sich um eine Rüge handelte, welche Baumaßnahme betroffen war und welcher Bieter die Rüge einlegte. Die dritte Seite war leer, die weiteren Seiten, auch die fünfte Seite mit der Unterschrift, fehlte komplett. Das vom AG vorgelegte Fax-Protokoll enthielt die Meldung „Übertragung nicht abgeschlossen (3 Seiten empfangen)“. Ebenfalls am 07.06.2024 stellte A Nachprüfungsantrag zur VK.

Die VK weist den Antrag des A wegen fehlender Rüge als unzulässig zurück. Gemäß § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 - 3 GWB sei ein Nachprüfungsantrag nur zulässig, wenn der vermeintliche Vergaberechtsverstoß gegenüber dem öffentlichen AG gerügt worden sei. Die Rüge sei zwingend vor der Einreichung des Nachprüfungsantrags zu erheben. Sinn und Zweck dieser Regelung sei es, dem Auftraggeber vor Antragseinreichung noch einmal die Möglichkeit zu geben, den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß von selbst abzuhelfen und so ein verzögerndes Nachprüfungsverfahren zu vermeiden. Die Rüge sei eine zwingend von den Vergabekammern von Amts wegen zu beachtende Sachentscheidungs-voraussetzung. Ohne vorherige Rüge sei ein Nachprüfungsantrag unzulässig und allein schon deshalb abzulehnen.

Hier datiere das Rügeschreiben des A vom 07.06.2024. Es sei per Einwurf-Einschreiben an den AG gesandt worden. Bei diesem eingegangen sei das Schreiben laut Eingangsstempel auf dem Briefumschlag am 13.06.2024, mithin nach der Einreichung des Nachprüfungsantrages bei der VK, welche am 07.06.2024 erfolgt sei. Zwar trage der Frankierstempel der Deutschen Post das Datum 07.06.2024. Allerdings müsse bei Briefpost mit einer regelmäßigen Postlaufzeit von ein bis zwei Werktagen nach Einlieferung ausgegangen werden, wobei als Werktag auch der Samstag angesehen werde. Da es sich beim 07.06.2024 um einen Freitag handelte, habe A nicht davon ausgehen können, dass der Brief vor dem 08.06.2024 (= Samstag) bzw. 10.06.2025 (= Montag) beim AG eingehen würde. Im Übrigen seien selbst überdurchschnittlich lange Postlaufzeiten der Risikosphäre des Antragstellers zuzurechnen. Eine Rüge, die erst beim Auftraggeber eingehe, nachdem bereits ein Nachprüfungsantrag bei der VK eingereicht worden sei, sei nicht geeignet, eine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Nachprüfungsantrag zu schaffen.

Allerdings habe hier A das Rügeschreiben bereits am 07.06.2024 um 11:59 Uhr vorab per Telefax an den AG gesandt, mithin vor Einreichung des Nachprüfungsantrages bei der VK am 07.06.2024 um 14:44 Uhr. Dies sei zulässig gewesen; eine besondere Form für die Rüge sei nicht vorgeschrieben. Sie könne z.B. auch mündlich, per E-Mail oder Telefax oder auf anderen elektronischen Kommunikationswegen gestellt werden. Allerdings sei für eine den Anforderungen des § 160 GWB genügende Rüge erforderlich, dass aus ihr für den Auftraggeber unmissverständlich hervorgehe, welches Verhalten als Vergaberechtsverstoß angesehen werde und inwiefern der Bieter vom Auftraggeber Abhilfe verlange. Auch müssten schriftliche oder fernschriftliche Rügen unterschrieben sein, damit der Auftraggeber erkennen könne, dass es sich nicht nur um einen Entwurf handele, und dass die Rüge von dem Unternehmer oder einer vertretungsberechtigten Person stamme. Beides sei bei der beim AG per Fax eingegangenen Rüge des A nicht der Fall. Das Rügeschreiben sei hier nur fragmentarisch eingegangen. Das am 07.06.2024 eingegangene Fax erfülle somit nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge, sondern erst das per Einwurf-Einschreiben übersandte und beim AG nach Einlegung des Nachprüfungsantrags eingegangene Rügeschreiben. Damit sei der Nachprüfungsantrag unzulässig. Dem stehe auch nicht der Einwand des A entgegen, die unvollständige Übermittlung bzw. der nur fragmentarische Ausdruck sei der Risikosphäre des AG zuzurechnen, da er als Antragsteller alles für eine ordnungsgemäße Übermittlung Mögliche getan habe und sein Fax-Sendebericht einen "O.K."-Vermerk enthalte.

Da die Rüge gegenüber dem Auftraggeber zu erheben sei, sei für eine fristgemäße Rüge deren Zugang beim Auftraggeber relevant und nicht deren Absendung. Somit sei der "O.K."-Vermerk auf dem Sendebericht des A irrelevant, da er nur eine Aussage dazu treffe, dass das Fax abgesandt worden sei. Dies gelte zumindest dann, wenn der Empfänger den Zugang substantiiert bestreite. Maßgeblich für den Zugangszeitpunkt sei § 130 BGB, der auf Rügen entsprechend angewandt werde. Danach gelte eine Rüge als zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt sei, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit habe, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Dabei trage der Rügende das Risiko, dass die Rüge nicht bzw. nicht vollständig zugehe. Vorliegend habe der AG durch Vorlage des Fehlerberichts seines Servers dargelegt, dass die Übermittlung des von A versandten Faxes nicht vollständig erfolgt sei, womit der AG den Zugang des vollständigen Rügeschreibens substantiiert bestritten habe. Der dafür darlegungs- und beweispflichtige A habe den Zugang nicht nachweisen können.

Anmerkung:

Die Entscheidung gibt ein anschauliches Beispiel dafür, wie man es als rügender Bieter gerade nicht machen sollte. So stellt sich bereits die Frage, weshalb hier Bieter A erst 9 Tage nach Erhalt der § 134 GWB - Info (vom 29.05.) gerügt hat und weshalb per Post. Wenn der „Zuschlag droht“, wäre ein Übermittlung der Rüge per E-Mail oder – wenn alle Stricke reißen – sogar per Boten - oder Kurierdienst möglich gewesen. Die VK zeigt hier aber auch sehr deutlich, wie wichtig die Rüge als unbedingte Zulässigkeitsvoraussetzung für ein Nachprüfungsverfahren ist – d.h. ohne Rüge kein Weg zur vergaberechtlichen Überprüfung!