„Kilo“ statt „Tonne“: Kalkulationsirrtum ist unbeachtlich!

„Kilo“ statt „Tonne“: Kalkulationsirrtum ist unbeachtlich!

„Kilo“ statt „Tonne“: Kalkulationsirrtum ist unbeachtlich!

  • Vergaberecht & Baurecht
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Das OLG Stuttgart hat mit Urteil vom 16.05.2024 – 2 U 146/22 – folgendes entschieden:

Kalkuliert der Unternehmer Preise für bestimmte Baustoffe aus Versehen nach dem Kilopreis, obwohl die Ausschreibung die Angabe von Tonnenpreise fordert, so kann er das auf dieser Grundlage abgegebene Angebot nicht wegen eines Erklärungsirrtums anfechten; es liegt ein unbeachtlicher Motivirrtum vor.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte verschiedene Gewerke für den Bau eines Regenüberlaufbeckens nach VOB/A und VOB/B ausgeschrieben; einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Bieter A gab ein Angebot über 913.000 EUR (netto) ab, das das Günstigste war. Nach Ablauf der Angebotsfrist und noch vor Zuschlagserteilung fragte das vom AG beauftragte Ingenieurbüro an, ob die angebotenen Einheitspreise des A auskömmlich seien. So würden für Betonstabstahl 1,36 EUR, für Betonstahlmatten 1,19 EUR und für Unterstützungskörbe 3,68 EUR angeboten, obwohl diese Leistungen nach Tonnen ausgeschrieben seien. Im Rahmen der Aufklärung antwortete A darauf dem AG, dass ihm bei diesen Positionen ein kalkulatorischer Fehler unterlaufen sei; er habe versehentlich einen Kilopreis anstatt eines Tonnenpreises angeboten. Da das Angebot in seiner Gesamtheit aber auskömmlich sei, stehe er zu den abgegebenen Preisen. Der AG schloss A darauf vom Vergabeverfahren aus und beauftragte den zweitgünstigsten Bieter. Nach erfolgloser Rüge forderte A Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns in Höhe von 26.620 Euro (3 % der Angebotssumme), hilfsweise Ersatz des negativen Interesses (Kosten der Angebotser-arbeitung) in Höhe von 11.111 Euro.

Sowohl das erstinstanzliche LG als auch das OLG geben Bieter A Recht. A stehe ein Schadensersatzanspruch auf entgangenen Gewinn wegen schuldhafter Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht zu. A hätte nicht vom Verfahren ausgeschlossen werden dürfen. Der vom AG angegebene Grund - Anfechtbarkeit des Bieterangebots wegen eines Erklärungsirrtums - rechtfertige nicht den Ausschluss unter dem Gesichtspunkt, dass die geforderten Preise nicht angegeben seien (§ 16a Absatz 2 Satz 2 VOB/A i. V. m. § 13 Absatz 1 Nummer 3 VOB/A).

Denn das Gebot des A sei nicht wegen eines Irrtums gem. § 119 BGB anfechtbar. Eine Anfechtung ist hiernach möglich, wenn der Erklärende die Willenserklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Nicht anfechtbar sei hingegen ein sog. Kalkulationsirrtum, der vorliege, wenn der Irrtum im Stadium der Willensbildung unterlaufen sei. Er berechtige grundsätzlich nicht zur Anfechtung, weil derjenige, der aufgrund einer für richtig gehaltenen, in Wirklichkeit aber unzutreffenden Berechnungsgrundlage einen bestimmten Preis oder eine Vergütungsforderung ermittele und seinem Angebot zugrunde lege, auch das Risiko dafür trage, dass seine Kalkulation zutreffe. Dabei mache es keinen wesentlichen Unterschied, wenn die falsche Berechnung auf Fehlern einer vom Erklärenden verwendeten Software beruhe (siehe BGH, Urt. v. 26. 01. 2005 -VIII ZR 79/04).

Im vorliegenden Fall habe der AG keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Bieter A sein Gebot wegen eines Erklärungsirrtums hätte anfechten können. In seiner auf Nachfrage erteilten Auskunft habe A angegeben, er habe die Kalkulation mit vorgefertigten Kalkulationsbausteinen durchgeführt und dabei versehentlich einen Kilopreis anstatt einem Tonnenpreis angeboten. Diese Angabe habe den AG darauf hingewiesen, dass sich der Fehler bereits in der vorgelagerten Kalkulation eingeschlichen habe. Dieser Mitteilung lasse sich hingegen nicht - schon gar nicht mit der für einen Ausschluss gebotenen Sicherheit - entnehmen, dass erst die Übertragung der Preise in das Angebot aufgrund eines Irrtums erfolgt sei. Dies entspreche auch den vom erstinstanzlichen Landgericht getroffenen Feststellungen, dass das für die fraglichen Einheitspreise verwendete Kalkulationsmodul mit einer fehlerhaften Einstellung für die Materialkosten verwendet worden sei und daneben noch andere Faktoren (Allgemeine Geschäftskosten, Gemeinkosten, Wagnis, Gewinn) in die Preisbildung für die jeweiligen Einheitspreise eingeflossen seien. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen bestünden nicht.
 
Auf dieser Grundlage sei daher festzustellen, dass der Irrtum bereits im Vorfeld des Gebots entstanden sei, nämlich bei der Kalkulation der Einheitspreise, nicht erst bei der Übertragung der Kalkulation in das Formular. Als Irrtum im Beweggrund (Motiv) sei er unbeachtlich, denn A trage das Risiko für die Richtigkeit der Kalkulation des Einzelpreises. Dies unterscheide den vorliegenden Fall von der seitens des AG herangezogenen Entscheidung des OLG Karlsruhe, in der das Gericht davon ausgegangen sei, dass der Irrtum bei der Abgabe der Erklärung selbst geschehen sei (OLG Karlsruhe, B. v. 11. 01. 2011 -15 Verg 11/11).
Selbst bei einer unterstellten Anfechtbarkeit des Angebots lägen die Voraussetzungen für einen Ausschluss wegen fehlender Angabe der geforderten Preise nicht vor. Als fehlende Preisangabe im Sinne von § 13 Absatz 1 Nr. 3 VOB/A sei eine Auslassung oder eine Angabe mit unbestimmtem Bedeutungsgehalt zu bewerten oder wenn die Preisangaben offensichtlich unzutreffend seien. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, denn A habe die von ihm angegebenen Einzelpreise tatsächlich verlangt. Alleine der Umstand, dass das Gebot anfechtbar sein solle, führe nicht zu einer fehlenden Bestimmtheit der Einzelpreise.

A habe auch sein Angebot nicht verändert. Er habe lediglich erklärt, zu den Preisen zu stehen. Damit sei somit A lediglich dem Verlangen nach Aufklärung über das Angebot nachgekommen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A), indem er die bereits angebotenen Preise bestätigt habe.

Da im Ergebnis der Angebotsausschluss rechtwidrig gewesen sei, und Bieter A hier vielmehr den Zuschlag hätte erhalten müssen, habe er einen Schadensersatzanspruch in Höhe des entgangenen Gewinns (positives Interesse).

Anmerkung:
Wie die Entscheidung zeigt, ist genau zu differenzieren, wie und wann der Irrtum des Bieters entstanden ist:
    • Hat sich - wie hier - der Bieter bereits bei seiner Kalkulation „vertan“ und diese Kalkulation seinen Preisen zugrunde gelegt, liegt ein unbeachtlicher Motivirrtum vor, der von ihm nicht gemäß § 119 BGB angefochten werden kann.

    • Wenn sich allerdings bei der Übertragung der Preise aus der Kalkulation in das Angebot ein Übertragungsfehler einschleicht (z.B. Zahlendreher, fehlende Null in einer Ziffer etc.), führen solche Fehler zu einem Irrtum bei der Abgabe der Erklärung selbst, d.h. zu einem Erklärungsirrtum, der gem. § 119 BGB anfechtbar ist. Der Erklärende hat dabei die Vorstellung, dass das Angebot dem Ergebnis seiner Kalkulation entspricht – er somit etwas anderes erklären will, als er tatsächlich erklärt hat.