Wann ist die VOB "als Ganzes" vereinbart?

Wann ist die VOB "als Ganzes" vereinbart?

Wann ist die VOB "als Ganzes" vereinbart?

  • Vergaberecht & Baurecht
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Jede inhaltliche Abweichung von der VOB/B in einem Bauvertrag führt dazu, dass sie - unabhängig von der Schwere des Eingriffs - nicht als Ganzes vereinbart ist. Zur Feststellung der Abweichung ist die kundenfeindlichste Auslegung zugrunde zu legen. Dies hat das OLG Nürnberg mit Beschluss vom 14.01.2025 (Az.: 2 W 2077/24 Bau) entschieden.

Der Fall: AG schließt mit AN einen Bauvertrag. Auf Veranlassung des AG wird die VOB/B in den Vertrag einbezogen. Weiter findet sich in dem Vertrag folgende Klausel: "Zusätzliche Aufträge bzw. Nachträge bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform." AN - offenbar zwischenzeitlich vermögenslos geworden - ist der Meinung, die genannte Klausel weiche von der VOB/B ab, diese sei daher nicht als Ganzes vereinbart und unterliege der AGB-Inhaltskontrolle. Er beantragt daher Prozesskostenhilfe (!) zur Durchsetzung seiner offenen Vergütungsansprüche.

Die Entscheidung: Das OLG Nürnberg spricht dem AN für die Durchsetzung seiner Ansprüche Prozesskostenhilfe zu (!) und begründet dies wie folgt: Anders als die VOB/B statuiert die genannte Klausel ein Schriftformerfordernis, damit Zusatzaufträge und Nachträge wirksam werden können. Das ist eine inhaltliche Abweichung von der VOB/B. Darauf, dass es sich bei einer solchen einfachen Schriftformklausel lediglich um eine marginale Abweichung von der VOB/B handelt, weil die Parteien dies jederzeit auch stillschweigend wieder abbedingen können, kommt es nicht an. Anstelle der in der VOB/B formfrei möglichen Vereinbarung einer Vergütung für zusätzliche Aufträge und Nachträge wird hier die Vereinbarung durch das Schriftformerfordernis potentiell erschwert (Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung). Dies wiederum reicht aus für die Annahme, dass die VOB/B nicht "als Ganzes" vereinbart wurde. Demnach unterliegt dann jede einzelne Klausel der VOB/B der Inhaltskontrolle mit der Folge, dass - etwas verkürzt gesagt - alle für den Verwender günstigen und folglich für den Verwendungsgegner ungünstigen Klauseln unwirksam sind. Dies gilt z. B. auch für § 16 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 6 VOB/B, nach der AN mit Nachtragsforderungen ausgeschlossen ist, wenn er die Schlusszahlung vorbehaltlos annimmt und er hierüber schriftlich unterrichtet wurde. Obwohl dies vorliegend wohl geschehen war, kommt die Klausel - da unwirksam - nicht zur Anwendung, weil an anderer Stelle (nämlich beim Schriftformerfordernis für Nachträge) von der VOB/B abgewichen wurde.

Fazit: § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB besagt, dass die VOB/B der Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht dann nicht unterliegt, wenn sie in ihrer neuesten Fassung als Ganzes vereinbart wurde. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Verwendungsgegner ein Verbraucher ist. In diesen Fällen unterliegt die VOB/B immer der Inhaltskontrolle. Aber auch unter Kaufleuten und im Verhältnis zum öffentlichen Auftraggeber findet eine Inhaltskontrolle der VOB/B statt, wenn der Verwender auch nur an einer einzigen Stelle im Vertrag von Regelungen der VOB/B abweicht. Ist Verwender der VOB/B - wie üblich - der Auftraggeber, so sind viele Klauseln, die ansonsten in der VOB zu seinen Gunsten wirken, also unwirksam und AG kann sich auf sie nicht berufen. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die VOB/B eine Abweichung selbst erlaubt, so etwa in § 13 Abs. 4 Nr. 1 VOB/B. Danach ist die Vereinbarung einer 5-jährigen Verjährungsfrist gegenüber der dort geregelten vierjährigen Verjährungsfrist ausdrücklich erlaubt, was sich aus der Formulierung „ist für Mängelansprüche keine Verjährungsfrist im Vertrag vereinbart,…" ergibt.


Insgesamt zeichnet sich in der Rechtsprechung des BGH, der das OLG Nürnberg hier folgt, immer deutlicher ab, dass jegliche Abweichung von der VOB/B im Vertrag zu einer Inhaltskontrolle der gesamten VOB/B führt, was für den Verwender außerordentlich nachteilig ist. Vereinfacht lässt sich sagen: Alle für den Verwender günstigen Klauseln werden nicht Vertragsinhalt, während alle für ihn ungünstigen Klauseln der VOB/B erhalten bleiben, weil er selbst sich nicht auf die Unwirksamkeit der von ihm verwendeten Klauseln berufen kann. Daraus folgt für den Bauunternehmer: Ist er selbst Verwender der VOB/B, sollte er diese nur "als Ganzes", also ohne jede Abweichung vereinbaren, und dass auch nur im kaufmännischen Geschäftsverkehr. Ist hingegen – wie meist - sein Auftraggeber Verwender der VOB/B und weicht diese in anderen Teilen des Vertrages von der VOB/B ab, so kann - jedenfalls im Grundsatz - der Auftragnehmer den Vertrag unterschreiben, weil für ihn ungünstige Klauseln der VOB/B in der Regel unwirksam sind.