Zum Angebotsausschluss wegen Mischkalkulation
Die Vergabekammer (VK) Südbayern hat mit Beschluss vom 06.02.2024 - 3194.Z3-3_01-23-58 - u.a. folgendes entschieden:
1. Es ist einem Bieter nicht schlechthin verwehrt, einzelne Positionen unter seinen Kosten anzubieten. Dies bedeutet aber nicht, dass der Bieter seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen Positionen des Leistungsverzeichnisses zuordnen darf.
2. Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses entsprechen, indiziert eine Preisverlagerung. Kann der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthält und daher auszuschließen ist.
3. Es ist für das Vorliegen einer Mischkalkulation nicht zwingend notwendig, dass der Auftraggeber eine Konnexität zwischen ab- und aufgepreisten Preispositionen nachweist, allerdings muss für den Eintritt der Indizwirkung wenigstens ein logischer Zusammenhang zwischen den Positionen bestehen, der über eine reine Zufälligkeit hinausgeht.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben; einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Leistungsverzeichnis (LV) umfasste mehrere 100 Positionen. Nach Submission forderte der AG den Bestbieter A mehrfach zur Aufklärung zahlreicher Positionen auf, dem A jeweils nachkam. Der AG stellte darauf bei mehreren Positionen Auf- und Abpreisungen fest, die in einem Verhältnis zueinanderstanden. Bei weiteren Positionen, bei denen keine Korrelation feststellbar war, erkannte der AG eine drohende erhebliche Übervorteilung bei der Abrechnung, da A hier höhere Preise als marktüblich forderte. Der AG schloss darauf das Angebot des A aus. Eine intensive Tiefenprüfung des Angebotes der zweitbesten Bieters B, der den Zuschlag erhalten sollte, fand dagegen nicht statt, obwohl auch dessen Preisbildung Anlass zu einer genaueren Prüfung gegeben hätte. A stellte Nachprüfungsantrag.
Die VK gibt Bieter A Recht; der AG habe das Angebot des A zu Unrecht ausgeschlossen.
Dass hier der AG das Angebot des A einer Preisprüfung nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VOB/A i. V. m. § 15 EU Abs. 1 VOB/A unterzogen und dazu insbesondere auch die Urkalkulation zu bestimmten Preisen angefordert habe, sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Zwar sei hier die sog. Aufgreifschwelle (Preisabstand zwischen den Angeboten von mehr als 20%), nach der der AG zur Preisprüfung verpflichtet sei, nicht erreicht. Da jedoch die Preisprüfung in erster Linie dem haushaltsrechtlich begründeten Interesse des öffentlichen AG und der Öffentlichkeit an der jeweils wirtschaftlichsten Beschaffung diene, könne es dem AG nicht verwehrt sein, in eine Preisprüfung auch dann einzutreten, wenn zwar die Aufgreifschwelle nicht erreicht sei, aber das Angebot aus anderen Gründen konkreten Anlass zur Preisprüfung gebe. Entscheide sich der öffentliche AG in einem solchen Fall für eine Preisprüfung, könne diese Entscheidung von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur daraufhin geprüft werden, ob sie gegen das Willkürverbot verstoße. Gleichwohl sei hier der vom AG erklärte Ausschluss wegen einer unzulässigen Mischkalkulation vergaberechtlich nicht haltbar.
Grundsätzlich sei es einem Bieter nicht schlechthin verwehrt, einzelne Positionen unter seinen Kosten anzubieten. Dies bedeute aber nicht, dass der Bieter seine zu deckenden Gesamtkosten nach Belieben einzelnen Positionen des LV zuordnen dürfe. Öffentliche Auftraggeber hätten grundsätzlich ein Interesse daran, dass die Preise durchweg korrekt angegeben werden, denn Zahlungspflichten der Auftraggeber könnten durch Verlagerung einzelner Preisbestandteile manipuliert werden. Verlagere der Bieter die für einzelne Positionen seines LV eigentlich vorgesehenen Preise ganz oder teilweise in andere Positionen, greife § 16 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A daher grundsätzlich ein. Aus welchen Gründen ein Bieter in seinem Angebot Einheitspreise für bestimmte Leistungspositionen auf andere Leistungspositionen verteile, ob er z.B. auf Mengenverschiebungen spekuliere oder besonders hohe anfängliche Abschlagszahlungen auslösen wolle, sei demgegenüber nicht entscheidend.
Eine Angebotsstruktur, bei der deutlich unter den zu erwartenden Kosten liegenden Ansätzen bei bestimmten Positionen auffällig hohe Ansätze bei anderen Positionen des LV entsprächen, indiziere eine solche Preisverlagerung. Könne der Bieter die Indizwirkung nicht erschüttern, rechtfertige dies die Annahme, dass das Angebot nicht die geforderten Preisangaben enthalte und daher auszuschließen sei (BGH, Urteil vom 19.06.2018, X ZR 100/16). Liege ein solches Indiz für eine Preisverlagerung vor, müsse die Vergabestelle dem Bieter die Möglichkeit einräumen, den Verdacht der Mischkalkulation auszuräumen. Dabei müsse sich die Vergabestelle bei der Aufklärung jedoch nicht mit jeder beliebigen Erklärung des Bieters zufriedengeben. Zwar komme der Erklärung eines Bieters, wonach seine Preise der tatsächlichen Kalkulation entsprächen, erhebliches Gewicht zu. Lägen jedoch konkrete Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vor, sei die Vergabestelle nicht gezwungen, sich mit einer solchen Auskunft zufrieden zu geben.
In Anwendung dieser Grundsätze schlüsselt die VK im einzelnen eine Vielzahl von Positionen auf und überprüft diese. Sie stellt im Ergebnis fest, dass die konkrete Preisbildung des A bei zahlreichen LV-Positionen keinen Angebotsausschluss gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i. V. m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A rechtfertige. Bei den Positionen, bei denen A seine Preisbildung nicht habe plausibel erläutern können, handele es sich aber nur um Bagatellpositionen.
Des Weiteren sei der AG bei der Preisprüfung gezwungen, einen einheitlichen Maßstab anzulegen, das heiße konkret, das Angebot des Bestbieters A dürfe nicht bis in die kleinsten Einzelheiten aufgeklärt werden, während der AG die Preise des zweitplatzierten Bieters gewissermaßen ungeprüft „durchwinke“.
Im Ergebnis sei der Ausschluss des A hier unverhältnismäßig und würde dem Ziel des Vergaberechts zuwiderlaufen, wirtschaftliche Auftragsvergaben zu gewährleisten und Ausschlüsse allein aus formalen Gründen zu verhindern. Dass der AG aber bei allen Angeboten mit gleichem Maß messen müsse, verstehe sich von selbst.
Anmerkung:
Dem Bieter eine sog. Mischkalkulation nachzuweisen, ist für den Auftraggeber in aller Regel nicht einfach. Dazu gibt die o.g. Entscheidung einige gute Hinweise – so z.B. auch, dass die simple Rechnung „niedrige Preise hier – hohe Preise dort“ nicht ohne Weiteres aufgeht, um ein Angebot wegen einer Mischkalkulation auszuschließen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ausschreibung sehr umfangreich ist und das LV – wie hier - eine hohe Zahl von Leistungspositionen aufweist.