Produktneutralität – eine der Grundsäulen des Wettbewerbs!

Produktneutralität – eine der Grundsäulen des Wettbewerbs!

Produktneutralität – eine der Grundsäulen des Wettbewerbs!

  • Vergaberecht & Baurecht
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Die Vergabekammer (VK) Sachsen hat mit Beschluss vom 25.08.2023 – 1/SVK/019-23 – u.a. folgendes entschieden:

1. Das Gebot der produktneutralen Ausschreibung ist eine der Grundsäulen des diskriminierungsfreien Wettbewerbs. Nach § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A dürfen grundsätzlich keine bestimmten Erzeugnisse, Verfahren, Ursprungsorte, Typen usw. durch den öffentlichen Auftraggeber vorgegeben werden. Durch diesen Grundsatz wird das Bestimmungsrecht des Auftraggebers eingeschränkt, um eine grundlose Wettbewerbsverengung durch produkt- bzw. herstellerbezogene Leistungsbeschreibungen zu verhindern.
2. Eine Ausnahme vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung ist möglich, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A. Das ist der Fall, wenn vom Auftraggeber nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden sind, die Bestimmung willkürfrei getroffen worden ist, solche Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen in mehreren Losen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Im Los „Gebäudeautomation“ hatte er das Fabrikat des Herstellers A bindend vorgegeben. Hersteller und Bieter B rügte dies als Verstoß gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung. Der AG wies die Rüge zurück mit dem Argument, dass technische Zwänge und besondere wirtschaftliche Gründe (hoher Ersatzteilhaltungs-, Wartungs- und Schulungsaufwand) vorlägen, welche eine Beschränkung des Wettbewerbs rechtfertigen würden. B stellte darauf Nachprüfungsantrag.

Die VK gibt Bieter B Recht; die Beschränkung des Wettbewerbs allein auf Produkte des Herstellers A sei nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt. Gemäß § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A dürfe in technischen Spezifikationen nicht auf eine bestimmte Produktion, Herkunft oder besonderes Verfahren, das die von einem bestimmten Unternehmen bereitgestellten Produkte charakterisiere, verwiesen werden – siehe Tenor Nr. 1.
Eine Ausnahme vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung sei dann zulässig, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sei, § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB – siehe Tenor Nr. 2.
Nach der Rechtsprechung könne eine solche Ausnahme auf die besondere Aufgabenstellung, auf technische Zwänge, auf die Nutzung der Sache, auf gestalterische Anforderungen oder besondere wirtschaftliche Aspekte zurückzuführen sein. Die Wirtschaftlichkeit könne berührt sein, wenn eine produktneutrale Beschaffung unvertretbar hohe Belastungen infolge besonders hoher Aufwände für die Ersatzteilhaltung, den Wartungs- oder Schulungsaufwand erfordern würde (EuGH, Urt.v.08.04.2008 – Rs. C-337/05).

Anzuerkennende Gründe könnten im Einzelfall z. B. sein: Denkmalschutzvorgaben (VK Sachsen-Anhalt, B. v. 16.09.2015 – 3 VK LSA 62/15; Einfügen in ein optisches Erscheinungsbild (OLG Düsseldorf, B. v. 17.09.2012 – Verg 33/12); ein architektonisches Konzept ; die Ausstattung eines Gebäudes mit einheitlichen Geräten; Notwendigkeit wegen kompatiblen Anlagenteilen (OLG München, B. v. 05.11.2009 – Verg 15/09) oder Festlegung aufgrund arbeitstättenrechtlicher Vorgaben (VK Bund, B. v. 25.03.2015 – VK 2-15/15).
Die aus dem Auftragsgegenstand abgeleiteten Sachgründe für eine konkrete Produktvorgabe und der Willensbildungsprozess des Auftraggebers müssten in der nach § 8 Abs. 1 VgV zu führenden Vergabeakte nachvollziehbar dokumentiert werden (VK Baden-Württemberg, B. v. 30.08.2016 - 1 VK 36/16)
Dabei würden an die Begründung einer produktspezifischen Ausschreibung und ihre Dokumentation von der Rechtsprechung hohe Anforderungen gestellt (z.B. VK Sachsen, B. v. 30.08.20116 – 1/SVK/016-16). Aus dieser Dokumentation müssten sich das Vorhandensein sachlicher Gründe und die daran anknüpfende Entscheidung des Auftraggebers für einen unbefangenen Dritten nachvollziehbar erschließen. Fehle es daran, verstoße die Produktvorgabe gegen § 7 EU Abs. 1 VOB/A. Im Nachprüfungsverfahren sei der Auftraggeber darlegungs- und beweisbelastet.

Vor diesem Hintergrund sei hier festzustellen, dass nach Auffassung der VK vom AG zur Rechtfertigung der Herstellervorgabe A in der Ausschreibung keine hinreichenden nachvollziehbaren objektiven und auftragsbezogenen Gründe angegeben worden seien.
So seien – entgegen der Auffassung des AG – für eine erhöhte Störungsanfälligkeit oder eine akute Gefahr für die sichere Betriebsführung durch das Produkt des B keinerlei konkreten Anhaltspunkte ersichtlich und vom AG auch nicht konkret dargelegt worden. Ebenso verhalte es sich bezüglich der vom AG angesprochenen Probleme bzw. Verzögerung bei den Wartungsarbeiten, die sich aus dem Produkt des Bieters B ergeben würden. Nach Auffassung der VK seien diese geschilderten Verzögerungen von eher geringem Gewicht und könnten – selbst wenn sie theoretisch irgendwie zu berücksichtigen wären - hier keine konkrete Herstellervorgabe rechtfertigen.

Zusammenfassend sei daher festzustellen, dass der darlegungsbelastete AG mit seinen im Vergabevermerk niedergelegten Erwägungen keine nachvollziehbaren objektiven und auftragsbezogenen Gründe angegeben habe, welche die Anforderungen für die Rechtfertigung einer Herstellervorgabe erfüllen würden. Die vorgenommene Beschränkung des Wettbewerbs allein auf Produkte des Herstellers A sei daher nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, § 7 EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A.


Anmerkung:

Auch beim Grundsatz der Produktneutralität gilt Ähnliches wie bei der Thematik „Losweise Vergabe“. Die Regel ist die Produkt- bzw. Systemneutrale Ausschreibung; die Ausnahme, d.h. die produktscharfe Ausschreibung, wenn dies durch den konkreten Auftragsgegenstand seine Rechtfertigung findet.
Dabei werden für diese Ausnahme von der Rechtsprechung die Hürden relativ hoch gesetzt – der Auftraggeber hat sich im Vergabevermerk mit den Gründen für eine produktscharfe Ausschreibung argumentativ auseinanderzusetzen, wobei die o.g. Entscheidung durch den zitierten Katalog der durch die Rechtsprechung entwickelten, anzuerkennenden Gründe wertvolle Hinweise geben könnte.