Korrektur fehlerhafter Vergabeunterlagen nach Submission?

Korrektur fehlerhafter Vergabeunterlagen nach Submission?

Korrektur fehlerhafter Vergabeunterlagen nach Submission?

  • Vergaberecht & Baurecht
  • 10 Min

Das OLG Düsseldorf hat mit - erst jetzt veröffentlichtem - Beschluss vom 10.05.2023 – Verg 45/22 – u.a. folgendes entschieden:
1. Eine den Bietern erst nach Ablauf der ursprünglichen Angebotsfrist mitgeteilte Fristverlängerung stellt vergaberechtlich eine Wiedereröffnung der Angebotsfrist in Form einer Teilrückversetzung des Vergabeverfahrens dar.
2. Ein öffentlicher Auftraggeber kann grundsätzlich nicht verpflichtet werden, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt hat. Eine bereits erfolgte Submission schließt eine solche Fehlerkorrektur nicht aus.
3. Eine (Teil-) Aufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens ist auch nach Abgabe der Angebote und sogar nach Öffnung der Angebote möglich und vergaberechtlich nicht ausgeschlossen.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Reparatur- und Wartungsarbeiten im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Kurz vor Ablauf der Angebotsfrist rügte ein Bieter das Fehlen kalkulationsrelevanter Unterlagen. Zwischenzeitlich hatten mehrere Bieter fristgerecht Angebote eingereicht. Nach Ablauf der ursprünglichen Angebotsfrist verlängerte der AG die Angebotsabgabefrist und veröffentlichte ein überarbeitetes Leistungsverzeichnis. Wie die übrigen Bieter zog auch Bieter A sein Angebot zurück und gab fristgerecht ein neues Angebot ab. Nach Wertung der Angebote kündigte der AG an, den Zuschlag an Bieter B erteilen zu wollen. A rügte darauf, dass der Wiedereinstieg in das Verfahren nach Ende der ursprünglichen Angebotsfrist vergaberechtswidrig sei, mit dem Argument, dass dies dem AG die Möglichkeit einer unzulässigen Einflussnahme auf das Verfahren biete. Nach Nichtabhilfe der Rüge stellte A Nachprüfungsantrag, der von der VK zurückgewiesen wurde. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde des A zum OLG.
Auch das OLG gibt dem AG Recht. Die Verlängerung der Angebotsfrist und der Wiedereintritt in die Angebotsphase mit geänderten Vergabeunterlagen sei vergaberechtsfehlerfrei erfolgt.
Die seitens des AG den Bietern erst nach Ablauf der ursprünglichen Angebotsfrist mitgeteilte Fristverlängerung stelle vergaberechtlich eine Wiedereröffnung der Angebotsfrist in Form einer Teilrückversetzung des Vergabeverfahrens dar. Eine Fristverlängerung nach Ablauf der Angebotsfrist nach § 20 Abs. 3 VgV bzw. § 10a EU Abs. 6 VOB/A scheide aus. Mit Fristablauf sei die Angebotsphase beendet, so dass es einer teilweisen Rückversetzung des Verfahrens bedurft hätte. Nach ständiger Rechtsprechung sei eine (Teil-)Aufhebung und Zurückversetzung des Vergabeverfahrens auch nach Abgabe der Angebote und sogar nach Öffnung der Angebote möglich und vergaberechtlich nicht ausgeschlossen.
Nach der Rechtsprechung des BGH müssten Bieter die Aufhebung des Vergabeverfahrens - von engen, hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - nicht nur dann hinnehmen, wenn sie von einem der in den einschlägigen Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnungen (wie § 63 VgV bzw. § 17 Abs. 1 VOB/A EU) aufgeführten Gründe gedeckt und deshalb von vornherein rechtmäßig sei. Vielmehr bleibe es dem AG grundsätzlich unbenommen, von einem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliege. Dies folge daraus, dass die Bieter zwar einen Anspruch darauf hätten, dass der AG die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhalte (§ 97 Abs. 6 GWB), aber nicht darauf, dass er den Auftrag auch erteile und demgemäß das Vergabeverfahren mit der Erteilung des Zuschlags abschließe.
Ein öffentlicher Auftraggeber könne grundsätzlich auch nicht verpflichtet werden, einen Auftrag auf der Grundlage einer Ausschreibung zu erteilen, die er als fehlerhaft erkannt habe. Dies sei Folge der Vertragsfreiheit, die auch für im Wege öffentlicher Ausschreibungen vergebene Aufträge gelte. Notwendige Voraussetzung für eine vollständige oder auch nur teilweise Aufhebung einer Ausschreibung sei lediglich, dass der AG für seine (Teil-) Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund habe, so dass eine Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich sei oder nur zum Schein erfolge. Auch eine bereits erfolgte Submission schließe eine solche Fehlerkorrektur nicht aus. Zwar sei richtig, dass ein transparenter Wettbewerb wegen der damit verbundenen Manipulationsgefahr nicht mit einer im Belieben des Auftraggebers stehenden Wiederholung der Angebotsabgabe zu vereinbaren sei. Es stehe aber gerade nicht im Belieben öffentlicher Auftraggeber, vor oder nach Submission den Bietern Gelegenheit zu einer Änderung ihrer Angebote einzuräumen.
Gleiches gelte für die Aufhebung einzelner Verfahrensabschnitte des Vergabeverfahrens, durch die das Vergabeverfahren in einen bestimmten Verfahrensstand zurückversetzt werde.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sei die vorliegende teilweise Zurückversetzung des Vergabeverfahrens und Wiedereröffnung der Angebotsphase nicht missbräuchlich, sondern sachlich gerechtfertigt und damit wirksam. Anhaltspunkte für eine vergaberechtswidrige Diskriminierung einzelner Bieter oder eine Manipulation lägen nicht vor. Eine unzulässige Einflussnahme auf das Vergabeverfahren durch den AG werde auch von A nicht behauptet, der auf die bloße potenzielle Manipulationsmöglichkeit abstelle. Vorliegend habe der AG die Angebotsfrist verlängert, weil zusätzliche Informationen betreffend das Angebot, und damit einhergehend kalkulationsrelevante Unterlagen nicht sechs Tage vor Ablauf der Angebotsfrist den Bietern zur Verfügung gestanden hätten (§ 20 Abs. 3 Nr. 1 VgV), was auch von einem Bieter gerügt worden sei. Die mit der Fristverlängerung einhergehende Wiedereröffnung der Angebotsphase sei damit vorliegend erkennbar zur Vermeidung einer zu kurzen Angebotsfrist und damit zur Behebung eines Verfahrensfehlers erfolgt. Zudem sei eine Öffnung der Angebote bis zum Ablauf der verlängerten Angebotsfrist nicht vorgenommen worden. Auch habe sich der Bieterkreis durch die Wiedereröffnung der Angebotsphase nicht verändert.

Anmerkung:

Die Entscheidung zeigt, wie der Auftraggeber mit einer Zurücksetzung des Verfahrens bzw. mit einer teilweisen Aufhebung verhindern kann, das Verfahren insgesamt aufheben zu müssen.
Dabei ist folgendes zu beachten:
    • Vor der Angebotsöffnung kann der AG z. B. auf (sehr) späte Rügen oder Bieterfragen sogar noch dann reagieren, wenn die Angebotsabgabefrist bereits abgelaufen ist.

    • Sogar nach Angebotsöffnung ist eine Rückversetzung in die Angebotsphase noch zulässig – insbesondere dann, wenn sich Fehler in den Vergabeunterlagen erst bei der Angebotswertung zeigen sollten. Da hier jedoch die Gefahr von Manipulationen aufgrund der Kenntnis der Angebote naturgemäß höher ist, sollte der AG den sachlichen Grund für die Rückversetzung sehr sorgfältig im Vergabevermerk dokumentieren.