Fehler in den Vergabeunterlagen – was nun?

Fehler in den Vergabeunterlagen – was nun?

Fehler in den Vergabeunterlagen – was nun?

  • Vergaberecht & Baurecht
  • 11 Min

Die Vergabekammer (VK) Lüneburg hat mit Beschluss vom 28.09.2023 – VgK-26/2023 – folgendes entschieden:

1. Zur Eignungsprüfung können nur solche Eignungskriterien und Nachweise herangezogen werden, die in der Auftragsbekanntmachung festgelegt wurden.
2. Fehler in bereits an die Bieter versandten (bekannt gemachten) Vergabeunterlagen muss der Auftraggeber in der Weise ändern, dass er den Bietern eine aktuelle Dateifassung übermittelt; gegebenenfalls muss die Angebotsfrist verlängert werden.
3. Der einmal festgelegten Prüfablauf darf nicht zu Gunsten einzelner Bieter abgeändert werden, z. B. durch das Setzen einer längeren Nachfrist.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Sicherungsdienstleistungen als besondere Dienstleistung (§ 130 GWB) im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Zu den Eignungsanforderungen waren in der EU- Bekanntmachung nur Verweise auf die Vergabeunterlagen enthalten. Hinweise darauf, wo die Bieter Auskunft über die Einlegung von Rechtsbehelfen oder Nachprüfungsverfahren erhalten könnten, waren weder in der Bekanntmachung noch den Vergabeunterlagen zu finden. Bieter A erhielt vom AG die Vorabinformation gem. § 134 GWB, wonach das Angebot des Bieters B bezuschlagt werden sollte. Nachdem er dies erfolglos gerügt hatte, beantragte A die Nachprüfung.

Die VK gibt hier dem Bieter A im Wesentlichen Recht. Der AG habe einmal mit dem pauschalen Verweis auf die Vergabeunterlagen in der Bekanntmachung die Eignungskriterien nicht wirksam bekannt gemacht. Bereits seit 5 Jahren gebe es in Deutschland zur europaweiten Vergabe eine Rechtsprechung (z.B. OLG Naumburg, B. v. 01.03.2021,7 Verg 1/21; OLG München, B. v. 25.02.2019, Verg 11/18), die hinsichtlich der Eignungskriterien den pauschalen Verweis auf die Vergabeunterlagen als gegen § 122 Abs. 4 GWB, bzw. § 48 Abs. 1 VgV verstoßend und daher unzureichend ansehe. Des Weiteren habe der AG eine Passage zur Einlegung von Rechtsbehelfen in der Bekanntmachung nicht ausgefüllt. Er habe zwar die Vergabekammer als Nachprüfungsbehörde benannt, jedoch den Hinweis auf die Stelle unterlassen, bei der Auskünfte über die Einlegung von Rechtsbehelfen erhältlich seien, und auch im Punkt "Einlegung von Rechtsbehelfen" die Wiederholung der Rügefristen nach § 160 Abs. 3 GWB unterlassen. Hierbei handele es sich aber um eine echte Rechtsbehelfsfrist, auf die hinzuweisen sei (vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 29.11.2022 -1/SVK/024-22).

Drittens habe der AG gegen das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 GWB verstoßen, indem er hier die Wertung nach einer Rechentabelle durchgeführt habe, die von der Tabelle, die den Bietern mit den Angebotsunterlagen zur Verfügung gestellt worden sei, inhaltlich abwich. A habe zu Recht dargestellt, dass die ihm zur Verfügung gestellte Rechentabelle die Wertung der Referenz gemäß den Vergabeunterlagen nicht nur mit 250 Punkten, sondern bis zu 500 Punkten ermöglicht hätte. Grundlage des öffentlichen Vergabeverfahrens sei die Transparenz. Jeder Anbieter müsse wissen, nach welchen Kriterien die Entscheidung getroffen werde. Die Darstellung in der Leistungsbeschreibung sei zwar zutreffend und stimme mit der tatsächlich durchgeführten Wertung überein. Hierin liege also weder ein Fehler noch eine Beschwer des A. Der Fehler liege ausschließlich in einer Funktion der Rechentabelle, die den potenziellen Bietern zum Download zur Verfügung gestellt worden sei. Gerade die Rechentabelle habe jedoch für die Angebotskalkulation eine besondere Bedeutung, weil der Bieter mit ihrer Hilfe erkennen könne, welche Auswirkungen eine bestimmte Veränderung seines Angebotes habe. So könne er die Tabelle nutzen, um die Zuschlagschancen seines Angebotes zu optimieren.

Erfahrungsgemäß würden sehr viele Bieter eine solche Optimierung der Angebotsunterlagen nutzen.
Fehler in Wertungsunterlagen könnten bei der Menge des von Vergabestellen zu bewegenden Datenvolumens immer wieder einmal passieren. In solchen Situationen müsse der öffentliche Auftraggeber auf eine solche Erkenntnis transparent reagieren. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung sei der Fehler erst aufgefallen, als der AG die Wertung bereits durchführte, also nach Ablauf der Angebotsabgabefrist. In diesem Falle sei es ohne Verletzung des Geheimwettbewerbes möglich, den Bietern die korrigierte Rechentabelle zur Verfügung zu stellen, und eine recht kurz bemessene Frist zur Angebotskorrektur zu eröffnen. Falle der Fehler bereits vor Angebotsabgabefrist auf, so genüge es, die Angebotsabgabefrist mit der Bieterrundschreiben über die ausgetauschte Excel-Tabelle angemessen zu verlängern. Diese Möglichkeit der transparenten Fehlerkorrektur habe der AG aber nicht genutzt, sondern stattdessen mit einer korrigierten Rechentabelle gearbeitet.

Viertens sei A auch in seinen Rechten aus § 97 Abs. 1, Abs. 6 GWB verletzt, weil der AG fehlerhaft von der Eignung des Bieters B ausgegangen sei. Der Ausschluss des B sei hier geboten, weil der AG dem B für die Beibringung nach Ziffer 11.1 der "Zusätzlichen Vertragsbedingungen" geforderten Haftpflichtversicherung nach einer Nachforderung gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV trotz Vorlage einer zu geringen Haftpflichtversicherung eine neue Frist bis zum Leistungsbeginn gesetzt habe. Die Haftpflichtversicherung war gemäß Angebotsaufforderung Formblatt XY nicht mit den Angebotsunterlagen einzureichen, sondern sollte auf gesondertes Verlangen nachgefordert werden. In der Nachforderung vom 26.06.2023 habe der AG eine Frist zur Vorlage aller Unterlagen, auch der Haftpflichtversicherung, bis zum 29.06.2023 gesetzt. B habe zwar fristgemäß seine Haftpflichtversicherung vorgelegt, diese habe aber nicht den Anforderungen des Vertrages entsprochen. Mit Schreiben vom 28.06.2023 habe der AG dann den B erneut zur Vorlage der Haftpflichtversicherung aufgefordert, dabei allerdings als Alternative zu einem aktuellen Versicherungsnachweis eine schriftliche Bestätigung angeboten, wonach B im Falle eines Auftrags zum Leistungsbeginn die erforderliche Versicherung abschließen bzw. Deckungssummen zum Leistungsbeginn vorweisen könne.
Diese Vorgehensweise sei zwar evtl. aus Sicht des AG vernünftig und sachgerecht, verstoße jedoch ohne vorherige Festlegung in den Vergabeunterlagen gegen das Gleichbehandlungs-gebot aus § 97 Abs. 1 GWB, da damit die Bieter unterschiedlich behandelt würden.

Anmerkung:

Aus der Entscheidung lassen sich im Wesentlichen folgende Lehren ziehen:
    1. Die Eignungskriterien sollten bestenfalls direkt aus der Bekanntmachung zu entnehmen sein; ein bloßer Hinweis auf die Vergabeunterlagen ist unzulässig.
    2. Die Bekanntmachung sollte eine ordnungsgemäße und vollständige Rechtsbehelfsbelehrung enthalten.
    3. Abhängig vom Zeitpunkt des Entdeckens können Fehler in den Vergabeunterlagen vom Auftraggeber – wie von der VK aufgezeigt – korrigiert werden.
    4. Auch bei der Nachforderung von Nachweisen sind alle Bieter gleich zu behandeln. Generell gilt: werden Nachweise nachgefordert, müssen diese korrekt sein und können nicht – mittels weiterer Nachforderung – nochmals korrigiert werden.