Bieterfragen sind gegenüber allen Bietern zu beantworten!
Die Vergabekammer (VK) Nordbayern hat mit Beschluss vom 11.09.2024 – RMF-SG21-3194-9-18 – u.a. folgendes entschieden:
1. Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot resultiert grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen.
2. Mitteilungsbedürftig sind damit insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führen oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote haben.
3. Eine ursprünglich eindeutige Leistungsbeschreibung kann nachträglich intransparent werden, wenn die Antworten auf gestellte Bieterfragen der Leistungsbeschreibung widersprechen.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte für den Rück- und Neubau einer Brücke Planungsleistungen der LPh 8 und 9 (Bauoberleitung und Bauüberwachung – BOL/BÜ) in zwei Losen ausgeschrieben. Bieter A hatte für beide Lose ein Angebot abgegeben. Vor Ablauf der Angebotsfrist wurde eine Vielzahl von Bieterfragen gestellt, von denen einige öffentlich, d.h. an alle Bieter, einige jedoch mit privater Nachricht, d.h. nur an den fragenden Bieter beantwortet wurden. Im Folgenden rügte Bieter A diese Beantwortung sowie, dass mehrere Antworten des AG unzutreffend seien. Nach Nichtabhilfe seiner Rügen beantragte A Nachprüfung.
Die VK gibt Bieter A Recht; die teilweise private Beantwortung der Bieterfragen sei vergaberechtswidrig. Denn nach ständiger Rechtsprechung folge aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot grundsätzlich die Verpflichtung, Antworten auf Bieterfragen allen Bietern zur Verfügung zu stellen. Das Absehen von der Übermittlung der Antworten an die anderen Bieter stelle die Ausnahme dar, die nur unter bestimmten Umständen angenommen werden könne: Das betreffe etwa generelle, auf allgemeinen Kenntnissen beruhende Auskünfte. Dies könne auch für Fragen gelten, deren Beantwortung sich in bloßen Wiederholungen von ohnehin bekannten und zweifelsfrei transparenten Vorgaben erschöpften und die damit die Schwelle zur "Auskunft" oder zur "Zusatzinformation" nicht überschritten, sondern die lediglich einem rein subjektiven, redundanten Informationsbedürfnis des Fragestellers entsprängen. Eine Mitteilungspflicht werde auch dann nicht gesehen, wenn es sich nicht um zusätzliche Informationen handele oder wenn die Fragen offensichtlich das individuelle Missverständnis eines Bieters beträfen, die allseitige Beantwortung der Frage Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verletze oder die Identität des Bieters preisgeben würde.
Die Mitteilungspflicht betreffe zudem nur sachdienliche Auskünfte, also solche, die objektiv mit der Sache zu tun hätten und Missverständnisse ausräumten oder Verständnisfragen zu den Vergabeunterlagen beantworteten. Mitteilungsbedürftig seien damit insbesondere Bieterfragen, die zu einer Änderung der Vergabeunterlagen führten oder solche Antworten, die Auswirkungen auf die Kalkulation der Angebote hätten.
Nach diesen Maßgaben habe hier eine vergaberechtliche Verpflichtung zur Übermittlung der an bestimmte Bieter privat übermittelten Antworten auch an die anderen Bieter bestanden, da sie teilweise zusätzliche angebotsrelevante Informationen beinhalteten. Dabei gelte zu berücksichtigen, dass die Nichtübermittlung an andere Bieter vor dem Hintergrund des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes die große Ausnahme darstelle. Ebenso gelte zu berücksichtigen, dass die Fragen und Antworten überwiegend Art und Umfang der Leistung bzw. die Kalkulation einzelner Bestandteile betroffen hätte.
Insbesondere die Auskunft, dass die Planprüfung zu den abgefragten Leistungen gehöre, auch wenn im Leistungsverzeichnis hierfür keine gesonderte Position vorgesehen sei, könne kalkulationsrelevant sein. Auch die Information, dass die Anzahl der Positionen im Nachtrag nicht festgelegt sei und dass es den jeweiligen Bietern aufgrund eigener, vergangener und vergleichbarer Erfahrungen obliege, diese Leistungen so auszuschreiben, könne kalkulationsrelevant sein.
Ebenfalls liege ein Verstoß gegen das Gebot der Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung nach § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB vor. Bei deren Auslegung sei eine objektive Betrachtung anzustellen und auf das Verständnis eines verständigen und sachkundigen durchschnittlichen Bieters abzustellen. Im Rahmen dieser Auslegung werde dem Wortlaut eine besondere Bedeutung beigemessen. Allerdings seien auch Hinweise, die infolge von Bieterfragen und Rügen erteilt würden, mit einzubeziehen. Derartige Hinweise könnten durchaus dazu führen, dass Vergabeunterlagen nachträglich intransparent würden.
Hier sei die konkrete Leistungsbeschreibung nicht eindeutig im Hinblick auf die Frage, ob Leistungen betreffend des Rückbaus der Behelfsumfahrung und der Behelfsbrücke(n) (Los 1) zu den ausgeschriebenen Leistungen gehörten. Auch wenn in den Kalkulationsdatenblättern nirgends gesondert die anrechenbaren Kosten betreffend den Rückbau der Behelfsumfahrung und der Behelfsbrücken aufgeführt würden, werde mit diesen Antworten die Information gegeben, dass die Betreuung des Rückbaus der Behelfsumfahrung und der Behelfsbrücke Nr. 3, ggf. auch der anderen beiden Behelfsbrücken Teil der ausgeschriebenen Leistungen und zu kalkulieren sei. Angesichts dieser der Leistungsbeschreibung insoweit entgegenstehenden Information sei die Leistungsbeschreibung bei objektiver Betrachtung nicht mehr eindeutig. Dies gelte ungeachtet des entsprechenden Wortlauts der Leistungsbeschreibung, weil die Informationen auf die Bieterfragen hier konträr seien und die jeweiligen Aussagen sich nicht mehr in Einklang bringen ließen. Damit sei unklar, ob die Betreuung des Rückbaus der Behelfsumfahrung und der Behelfsbrücken Teil des ausgeschriebenen Auftrags seien oder nicht.
Der Bieter A sei hierdurch auch in seinen Rechten verletzt, da für ihn damit unklar gewesen sei, wie zu kalkulieren war. Diese Unklarheit gehe zulasten des AG. Für A sei daher eine Kalkulation unter diesen Umständen nicht zumutbar.
Anmerkung:
Wie die Entscheidung zeigt, gilt grundsätzlich: Alle gestellten Bieterfragen und die entsprechenden Antworten des Auftraggebers sind allen beteiligten Bietern in ein und derselben Weise bekanntzugeben. Dies gebietet das zwingend einzuhaltende Gleichbehandlungsgebot. Ausnahmsweise dürfen Fragen eines Bieters dann „privat“ beantwortet werden, wenn es sich um reine Verständnisfragen z.B. zur Ausräumung von Missverständnissen handelt. Die Grenze ist aber immer da zu ziehen, wo die Antwort auf eine Bieterfrage Art und Umfang der Leistung oder die Angebotskalkulation betrifft. Im Zweifel ist es daher besser, mehr Informationen an alle Bieter zu geben als zu wenig.