Zum Ausschluss eines Bieters wegen früherer Schlechtleistung
Die Vergabekammer (VK) Westfalen hat mit Beschluss vom 16.02.2024 – VK 3-47/23 – u.a. folgendes entschieden:
1. Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat.
2. Nicht jede nicht vertragsgerechte Erfüllung ist eine mangelhafte Erfüllung. Sie muss erheblich sein. Erheblich ist die mangelhafte Leistung, wenn sie den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet.
3. Wenn ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen ergriffen hat, darf es bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 GWB höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Sicherungsdienstleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. In der Bekanntmachung wurden die Bieter u.a. aufgefordert, Eigenerklärungen über das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach §§ 123 und 124 GWB einzureichen. Bieter A, der bereits in den Jahren 2019 bis 2013 vertraglich mit Sicherheitsleistungen bei Veranstaltungen des AG beauftragt war, gab ein Angebot mit den geforderten Eigenerklärungen ab. Darauf teilte ihm der AG mit, dass sein Angebot gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ausgeschlossen werde, da ein früherer Auftrag aufgrund von Schlechtleistungen und weiteren Mängeln bei Veranstaltungen des AG „teilgekündigt“ wurde. In seiner Rüge räumte A zwar Mängel bei früherer Ausführung des Veranstaltungsschutzes ein, verwies aber auf seine Selbstreinigung; so habe er sich von den damalig verantwortlichen Mitarbeitern getrennt und verpflichtende, individuell für jede einzelne Veranstaltung anzupassende Ablaufschulungspläne erstellt. Nach Abweisung seiner Rüge beantragte A Nachprüfung.
Die VK gibt Bieter A Recht, da der AG diesen rechtswidrig ausgeschlossen habe. Die VK verweist auf den Text des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB – siehe Tenor Nr. 1. Eine mangelhafte Erfüllung im Sinne dieser Vorschrift sei jede nicht vertragsgerechte Erfüllung. Erheblich sei diese, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belaste (siehe OLG Düsseldorf, Beschl. v. 28.03.2018 -Verg 49/17).
Neben dem Vorliegen früherer Mängel sei für das Eingreifen dieses Ausschlussgrundes erforderlich, dass die Mängel zu einer vorzeitigen Beendigung, Schadensersatz oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hätten. Eine Rechtsfolge müsse, um eine vergleichbare Rechtsfolge im Sinne dieser Vorschrift zu sein, zwar nicht zu einer vorzeitigen vollständigen Beendigung des Vertragsverhältnisses führen, sie müsse aber hinsichtlich ihres Schweregrades mit einer vorzeitigen Beendigung oder Schadensersatz vergleichbar sein. Als vergleichbare Rechtsfolge komme beispielsweise eine Ersatzvornahme in Betracht, aber auch das Verlangen nach umfangreichen Nachbesserungen könne unter Umständen eine vergleichbare Rechtsfolge sein.
Damit ein Schadensersatzanspruch oder ein anderer aus einer Pflichtverletzung resultierender Anspruch des öffentlichen Auftraggebers mit der vorzeitigen Beendigung eines Vertrages vergleichbar sei, müsse der jeweilige Anspruch demnach nicht nur entstanden, sondern auch geltend gemacht worden sein. Ein Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren aufgrund von § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber auf etwaige zurückliegende Vertragspflichtverletzungen des Unternehmens berufe, ohne dass Ansprüche durch den Auftraggeber geltend gemacht oder der Auftrag vorzeitig beendet worden sei, erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB somit nicht. Andererseits müsse der öffentliche Auftraggeber jedoch nicht durch eine rechtskräftige Entscheidung einer Zivilkammer nachweisen, dass er Ansprüche geltend gemacht und durchgesetzt habe. Ausreichend sei vielmehr, dass er konkrete Indizien von einigem Gewicht für die Geltendmachung seiner Ansprüche vorweisen könne.
Der zulässige Zeitraum für einen Ausschluss sei gemäß § 126 Nr. 2 GWB hier bereits abgelaufen. Der AG stütze den Ausschluss hier ausdrücklich auf die aus seiner Sicht erfolgte "Teilkündigung", die infolge der "Schlechtleistung zum [...]" zum Jahresende 2019 vorgenommen worden sei. Nur diese mangelhafte Erfüllung, die A im Wesentlichen einräume, zu Grunde gelegt, endete der Zeitraum für den Ausschluss von der Teilnahme an Vergabeverfahren im Sinne von § 126 Nr. 2 GWB spätestens mit Ablauf des Jahres 2022. Damit reiche dieses - isoliert betrachtet - einzelne Ereignis als Begründung für den Ausschluss im vorliegenden Vergabeverfahren nicht (mehr) aus, da mehr als drei Jahre seit dem betreffenden Ereignis verstrichen seien.
Mithin habe der AG den Ausschluss des A nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB hierauf schon nicht stützen dürfen.
Darüber hinaus fehle es an einer vorzeitigen Beendigung, Schadensersatz oder einer vergleichbaren Rechtsfolge im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB. Ob hier überhaupt Schlechtleistungen in den Jahren 2021 und 2022 von A erbracht worden seien, sei zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig. Selbst wenn die VK hier, wie vom AG vorgetragen, davon ausgehe, dass auch nach der Teilkündigung fortdauernde Schlechtleistungen des A bis ins Jahr 2022 erfolgt seien, fehle es in jedem Fall an einer in § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB geforderten Rechtsfolge (vorzeitige Beendigung, Schadensersatz oder vergleichbare Rechtsfolge). So führe der AG selbst aus: "Eine vollständige Kündigung des Vertragsverhältnisses im Jahr 2022 sei nicht erfolgt, da der Vertrag praktisch mit dem Ende der Saison 2022 ausgelaufen sei." In der mündlichen Verhandlung bestätige der AG darüber hinaus, dass weder eine Kündigung, eine Schadensersatzforderung noch eine vergleichbare Rechtsfolge gegenüber A geltend gemacht worden sei. Auch er selbst sei der Ansicht, dass eine - tatbestandlich erforderliche - Rechtsfolgensetzung im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB unterblieben sei. Das bloße "Auslaufenlassen" des bestehenden Vertrages erfülle die Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB aber nicht.
Anmerkung:
Die Entscheidung schlüsselt noch einmal die zwingend einzuhaltenden Voraussetzungen auf, um einen Bieter wegen früherer Schlechtleistung vom aktuellen Verfahren ausschließen zu können. Dafür genügen eben nicht nur mangelhafte frühere Bauleistungen, vielmehr müssen
• die aufgezeigten Beendigungssachverhalte wie (Teil-) Kündigung, Schadensersatz oder vergleichbare Rechtsfolgen vorliegen (z.B. Rücktritt, Ersatzvornahme, Minderung der Vergütung, Verlangen umfangreicher Nachbesserungen etc.)
• der AG muss seine Ansprüche gegen den AN tatsächlich geltend gemacht haben und
• es dürfen nicht – wie hier – mehr als 3 Jahre seit der damaligen Beendigung verstrichen sein, es sei denn, der Bieter kann seine Selbstreinigung nachweisen.
(siehe dazu auch: VK Bund, B. v. 29.02.2024 – VK 1-12/24)