Vorgabe bestimmter Bodendicke: Produktneutrale Ausschreibung?

Vorgabe bestimmter Bodendicke: Produktneutrale Ausschreibung?

Vorgabe bestimmter Bodendicke: Produktneutrale Ausschreibung?

  • Garten & Landschaftsbau
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Die Vergabekammer (VK) Westfalen hat mit Beschluss vom 27.10.2023 – VK 1-31/23 – folgendes entschieden:

1. Gegen die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung wird nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen in der Leistungsbeschreibung genannt wird, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein bestimmtes Produkt vorgegeben wird und nur mit diesem die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden können.
2. Der öffentliche Auftraggeber verstößt gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung, wenn er bei der Vergabe von Bodenverlege- und Bodenbelagsarbeiten in einer Sporthalle im Leistungsverzeichnis eine Nutzschichtdicke von mindestens 1,0 mm fordert, ohne hierfür einen Sachgrund nachvollziehbar darzulegen.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bodenverlege- und Bodenbelagsarbeiten in einem offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben; dabei handelte es sich um Lieferung und Einbau eines Sportbodens in einer neu zu errichtenden Mehrzweckhalle. Im LV gab der AG für den Sportboden ein Leitfabrikat an und stellte u.a. bezüglich „Oberbelag aus Vinyl“ die Anforderung: „Dicke der Nutzschicht: mind. 1 mm!“. Darauf rügte Bieter A, dass mit dieser Detailbeschreibung „Nutzschichtdicke von 1mm“ technische Eigenschaften gefordert würden, die nur vom angegebenen Leitfabrikat und somit nur von einem Produkt/Hersteller erfüllt würden, weshalb keine Produkte anderer Hersteller angeboten werden könnten. Der AG erklärte, an den Vorgaben festzuhalten und half der Rüge nicht ab, worauf A Nachprüfungsantrag stellte.
Die VK gibt Bieter A Recht, da der AG gegen die Vorschrift des § 7 EU Abs. 2 VOB/A (Gebot der produktneutralen Ausschreibung) verstoßen habe. Er habe im Leistungsverzeichnis eine Nutzschichtdicke des Sportbodens von mindestens 1 mm gefordert, ohne hierfür in der Vergabedokumentation einen sachlichen Grund nachvollziehbar dargelegt zu haben.
Grundsätzlich unterliege die Wahl des Beschaffungsgegenstands der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers, deren Ausübung dem Vergabeverfahren vorgelagert sei. Das Vergaberecht regele demnach nicht, was der öffentliche Auftraggeber beschaffe, sondern nur die Art und Weise der Beschaffung. Dieses Bestimmungsrecht, welcher Gegenstand mit welchen Eigenschaften beschafft werden solle, werde aber durch die Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung begrenzt, von der nur unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden dürfe. Eine solche Ausnahmevorschrift sei § 7 EU Abs. 2 VOB/A (Gebot der produktneutralen Ausschreibung).
Gegen diese Verpflichtung zur produktneutralen Ausschreibung werde aber nach der Rechtsprechung nicht nur dann verstoßen, wenn ein Leitfabrikat offen in der Leistungsbeschreibung genannt werde, sondern auch dann, wenn durch die Vielzahl der Vorgaben verdeckt ein bestimmtes Produkt vorgegeben werde und nur mit diesem die Anforderungen der Leistungsbeschreibung erfüllt werden könnten.
Die vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers seien dann eingehalten, sofern die Bestimmung durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt sei (vgl. § 7 EU Abs. 2 S.1 VOB/A), vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben worden seien und die Bestimmung folglich willkürfrei getroffen worden sei, solche Gründe tatsächlich vorhanden seien und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiere.
Ob diese vergaberechtlichen Grenzen der Bestimmungsfreiheit im Einzelfall eingehalten würden, unterliege der Prüfung durch die Nachprüfungsinstanzen.
Zunächst sei festzuhalten, dass ein öffentlicher Auftraggeber nicht gehalten sei, sich durch eine Markterkundung einen Überblick über die vorhandenen technischen Lösungen zur Befriedigung seines Beschaffungsbedarfs zu verschaffen, um so die Voraussetzungen für eine produktneutrale Ausschreibung herzustellen. Ob eine andere (technische) Lösung möglich sei, müsse daher nicht notwendigerweise vom Auftraggeber untersucht werden, denn eine Pflicht zur Markterkundung würde zu einer unangemessenen Verrechtlichung der Beschaffungsentscheidung führen
An das Vorliegen eines Sachgrundes dürften auch keine unverhältnismäßigen Anforderungen gestellt werden. Vielmehr genüge die sachliche Rechtfertigung durch den Auftragsgegenstand. Die Überlegungen der Vergabestelle müssten für Dritte nachvollziehbar sein. Es reiche allerdings nicht aus, dass der öffentliche Auftraggeber die sachlichen Gründe lediglich behaupte; sie müssten auch tatsächlich vorliegen. Hierzu bedürfe es einer entsprechenden (detaillierten) Dokumentation der Erwägungen.
Vor diesem Hintergrund lieg hier keine - auch nicht im Nachprüfungsverfahren ausreichend präzisierte - hinreichende Dokumentation der Erwägungen vor, weshalb ein sachlicher Grund im oben dargestellten Sinne fehle. Weshalb der AG konkret eine Nutzschichtdicke von mindestens 1,0 mm verlange, sei in seinem Vergabevermerk nicht erläutert und ergebe sich auch nicht nachvollziehbar aus der in der Antwort zur dazu gestellten Bieterantwort, da dort nur eine pauschale Begründung angegeben worden sei.


Anmerkung:

Das vergaberechtliche Gebot der produktneutralen Ausschreibung gemäß § 7 EU Abs. 2 VOB/A verbietet es nicht, in der Ausschreibung Leitfabrikate vorzugeben – speziell, wenn der Auftragsgegenstand auf andere Weise nicht hinreichend genau und für alle Bieter eindeutig beschrieben werden kann – allerdings dann mit dem zwingenden Zusatz „oder gleichwertig“. Durch diesen Zusatz wird dann der vergaberechtlich geforderte Wettbewerb wieder eröffnet.
Werden dagegen – egal ob offen oder z.B. durch die speziellen technischen Anforderungen versteckt – so hohe Anforderungen in der Ausschreibung gestellt, dass nur ein einziges Produkt oder System angeboten werden kann, müssen dafür die sachlichen bzw. technischen Gründe in den Vergabeunterlagen angegeben und entsprechend dokumentiert werden. Ist das – wie hier – nicht der Fall, leidet das Verfahren an einem Fehler, den der Auftraggeber dann z. B. durch Zurücksetzung des Verfahrens zu korrigieren hat.