Das Nachprüfungsverfahren ist kein Bauprozess!

Das Nachprüfungsverfahren ist kein Bauprozess!

Das Nachprüfungsverfahren ist kein Bauprozess!

  • Vergaberecht & Baurecht
  • 10 Min

Die Vergabekammer (VK) Rheinland hat mit Beschluss vom 29.04.2024 – VK 40/23 – u.a. folgendes entschieden:

1. Als Rechtsgrundlage für einen Angebotsausschluss wegen früherer Schlechtleistungen kommen nur § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB bzw. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A 2019 in Betracht.
2. Im Vergabe-Nachprüfungsverfahren ist keine förmliche Beweisaufnahme über solche Schlechtleistungen angebracht, schon weil der Auftraggeber zu einer solchen weder tatsächlich noch rechtlich in der Lage und dementsprechend nicht verpflichtet ist und die Nachprüfungsinstanz lediglich zur Überprüfung des Vergabeverfahrens auf Vergabeverstöße berufen ist. Maßgeblich ist vielmehr allein, was eine verständige Vergabestelle den Akten entnehmen kann oder ihr sonst bekannt sein muss.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Innenputzarbeiten im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Mit Vorabinformationsschreiben gemäß § 134 GWB informierte er die Bieter, den Zuschlag an Bieter B erteilen zu wollen. Das Angebot des Bieters A schloss er wegen Schlechtleistung bei früheren Aufträgen, speziell bei einer Revitalisierungs-maßnahme, die zu einer Teilkündigung des Auftrags geführt hatte, vom Vergabeverfahren aus. Darauf rügte A seinen Ausschluss, da eine Schlechtleistung nicht vorliege. Bei dem betreffenden Bauvorhaben sei er noch tätig, die angezeigten Mängel würden noch bearbeitet. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge stellte A Antrag auf Nachprüfung.
Die VK gibt dem AG Recht und weist den Antrag des A als unbegründet zurück. Der AG habe den Ausschluss zu Recht auf die allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB bzw. § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A gestützt. Die Anforderungen dieser beiden Regelungen könnten auch nicht durch eigene Vergabebedingungen des AG abgeschwächt werden.
Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Normen lägen hier vor. So sei der in § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB verwendete Begriff der mangelhaften Erfüllung umfassend im Sinne einer nicht vertragsgerechten Erfüllung zu verstehen, wobei sowohl vertragliche Haupt- als auch Nebenpflichten erfasst seien. Vorliegend habe hier A wiederholt seiner Mängelbeseitigungs-pflicht aus § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B nicht genügt. Dabei könne nach der Rechtsprechung offenbleiben, ob es in diesem Zusammenhang ausreiche, dass ein Auftraggeber Indiztatsachen vorbringe, die von einigem Gewicht seien, auf gesicherten Kenntnissen aus seriösen Quellen basierten und seine Entscheidung, den Bieter auszuschließen, als nachvollziehbar erscheinen ließen, oder der Auftraggeber über die von § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB verlangte Schlechterfüllung Gewissheit, also eine Überzeugung gewonnen haben müsse, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebiete.
Hier seien beide Anforderungen erfüllt. Dem AG lägen aus dem genannten früheren Auftrag diverse Mängelrügen und diesbezügliche Nachfristsetzungen sowie eine ca. 50 Seiten umfassende entsprechende Fotodokumentation vor. Aus diesen Unterlagen ergäben sich zahlreiche im Einzelnen dokumentierte Rissbildungen, Abbröckelungen und Abplatzungen im Innenputz, mit Fremdkörpern zugesetzte Dehnungsfugen sowie mit Putz verunreinigte Sichtbetonwände, sichtbare Decken, Tür- und Fensterlaibungen. A habe zu diesen Unterlagen nur pauschal vorgetragen, die Rissbildungen seien normale Setzrisse; soweit Putz abgebröckelt oder abgeplatzt sei, stamme dies von anderen Gewerken.
Für eine Auseinandersetzung mit 50 Seiten angeblicher Mängel sei aber das Nachprüfungsverfahren nicht der Ort. Für die VK bestehe kein Anlass, im Rahmen der Amtsermittlung nach § 163 Abs. 1 GWB den Sachverhalt im Wege einer Beweisaufnahme weiter aufzuklären. Der AG bzw. die Vergabestelle  könne eine derartige Beweiserhebung selbst nicht durchführen, zum einen mangels rechtlicher Befugnisse - beispielsweise zu einer zum Erscheinen und zur Aussage verpflichtenden Ladung und Vernehmung von Zeugen, die für eine ausgewogene Sachverhaltsermittlung unter Heranziehung aller in Betracht kommenden Auskunftspersonen unerlässlich sei -, zum anderen aus Zeitmangel, da eine Beweisaufnahme nebst entsprechender Vorbereitung das Vergabeverfahren und damit die Auftragsvergabe in unvertretbarer Weise verzögern würde und deshalb vom Zweck des Vergaberechts nicht mehr gedeckt wäre.
Im Nachprüfungsverfahren könne angesichts des in § 167 GWB zum Ausdruck kommenden Beschleunigungsgrundsatzes ebenfalls keine umfassende Klärung der Sachlage nach Art eines Bauprozesses erfolgen, weil die Vergabe-Nachprüfungsinstanzen lediglich zur vergaberechtlichen Kontrolle des Vergabeverfahrens berufen seien.
Da aber der AG bzw. die Vergabestelle, wie dargelegt, zu einer Beweiserhebung nicht verpflichtet sei, habe er seiner Entscheidung nur die Aktenlage und die für ihn womöglich anderweit erkennbaren Tatsachen zugrunde zu legen. Habe er dies in vergaberechtlich beanstandungsfreier Weise getan, liege im Ergebnis kein Vergabeverstoß vor, der der Nachprüfungsinstanz Anlass zu einem Eingreifen in das Vergabeverfahren geben könnte.
Die Norm des § 125 GWB stehe hier dem Ausschluss des Angebotes des A nicht entgegen. Gemäß § 125 Abs. 1 Nr. 3 GWB sei ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund nach § 124 GWB vorliege, nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren auszuschließen, wenn das Unternehmen dem Auftraggeber nachgewiesen habe, dass es konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen habe, die geeignet seien, weiteres Fehlverhalten zu vermeiden. Ein solcher Nachweis einer Selbstreinigung liege hier jedoch nicht vor.

Anmerkung:

Die Entscheidung zeigt deutlich, dass ein Vergabenachprüfungsverfahren vor einer Vergabekammer (einer Verwaltungsbehörde) mit einem Bauprozess vor einem ordentlichen Gericht nicht verwechselt werden darf. Dies schon deshalb nicht, da die VK gemäß § 167 Abs. 1 GWB regelmäßig innerhalb von 5 Wochen ab Eingang des Nachprüfungsantrags entscheiden soll - im Interesse der Beschleunigung des Vergabeverfahrens. Dabei hat die VK den Sachverhalt von Amts wegen zu untersuchen (§ 163 GWB), wobei sie sich auf das Vorbringen der Beteiligten beschränken, aber auch darüber hinausgehen kann. Zum Ausschluss wegen Schlechtleistung ist darauf hinzuweisen, dass der AG dem Bieter regelmäßig Gelegenheit zu einer Anhörung geben muss. Sind dabei die Einwendungen des Bieters nicht substanziiert genug, kann die VK in aller Regel von einer nicht vertragsgerechten Erfüllung durch den Bieter ausgehen.