Längere Gewährleistungsfrist – ein zulässiges Zuschlagskriterium?

Längere Gewährleistungsfrist – ein zulässiges Zuschlagskriterium?

Längere Gewährleistungsfrist – ein zulässiges Zuschlagskriterium?

  • Vergaberecht & Baurecht
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Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 27.09.2024 – VK 2-69/24 – u.a. folgendes entschieden:

1. Der öffentliche Auftraggeber darf nur solche Zuschlagskriterien berücksichtigen, die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt sind.
2. Der Katalog der zulässigen Zuschlagskriterien in § 16d Abs. 2 VOB/A ist nicht abschließend. Entscheidend ist, ob das Zuschlagskriterium mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung steht.
3. Längere als die in § 13 Abs. 4 VOB/B genannten Gewährleistungsfristen für Mängel können ein zulässiges Zuschlagskriterium sein. Durch eine Verlängerung der Gewährleistungsfristen wird den Bietern kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bauleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Während der laufenden Angebotsfrist änderte er die Bekanntmachung und die dort angegebenen Zuschlagskriterien. Danach sollten die Ausführungszeiten statt ursprünglich mit 20% nun mit 5% gewichtet werden. Als deren Unterkriterium sollte die angebotene Verjährungsfrist für Mängelansprüche (über die in § 13 Abs. 4 VOB/B genannte hinausgehende Frist) als neues Kriterium mit 10% in die Angebotswertung einfließen. Zusätzlich kamen zwei neue Zuschlagskriterien betreffend die Verbesserung von Wärmedurchgangskoeffizienten für bestimmte Bauteile mit je 2,5 % dazu. Nach erfolgloser Rüge der Zuschlagskriterien beantragte Bieter A die Nachprüfung.
Die VK gibt dem AG Recht.  Wie sich aus § 16d Abs. 2 EU VOB/A, § 127 Abs. 3 GWB ergebe, dürften nur Zuschlagskriterien berücksichtigt werden, die in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen genannt seien. Das streitige Zuschlagskriterium sei hier in der Bekanntmachung genannt, was auch von A nicht bestritten werde. A wende sich vielmehr dagegen, dass das Zuschlagskriterium in § 16d Abs. 2 EU VOB/A, § 127 Abs. 3 GWB nicht von der Auflistung der zulässigen Zuschlagskriterien umfasst sei.
Hierzu sei anzumerken, dass der Katalog der zulässigen Zuschlagskriterien in § 16d EU VOB/A nicht abschließend sei. Dies ergebe sich bereits aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" in § 16d Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 EU VOB/A. Entscheidender sei, ob das Zuschlagskriterium mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehe; dies sei nach dieser Regelung der Fall, wenn sich das Zuschlagskriterium in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus-Stadium auf diesen beziehe, und zwar auch dann, wenn der betreffende Faktor sich nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes beziehen sollte (§16d Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 und 4 EU VOB/A). Der erforderliche Bezug zwischen dem Auftragsgegenstand - hier: der Errichtung eines Bauwerks - und der Gewährleistungsfrist sei gegeben, da der Auftraggeber während der Dauer der Gewährleistungsfrist vom Auftragnehmer eine Beseitigung etwaiger Mängel auf Kosten des Auftragnehmers verlangen könne. Je länger die Dauer der Gewährleistungsfrist, desto vorteilhafter für den Auftraggeber.
Auch der Hinweis des A, eine Verlängerung der Gewährleistungsfrist sei nicht mit den ausdifferenzierten Regelungen in § 13 VOB/B vereinbar, greife nicht durch. Denn dem § 1 VOB/B sei der allgemeine Grundsatz zu entnehmen, dass die auszuführende Leistung nach Art und Umfang durch den Vertrag bestimmt werde; die Regelungen der VOB/B kämen demgegenüber nur bei Widersprüchen im Vertrag zur Anwendung, und auch dann nur subsidiär (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 6 VOB/B). Was die Gewährleistungsfristen im Besonderen anbelange, lasse § 13 Abs. 5 Nr. 1 Satz 3 VOB/B abweichende Vereinbarungen ausdrücklich zu ("... jedoch nicht vor Ablauf der Regelfristen nach Absatz 4 oder der an ihrer Stelle vereinbarten Frist ...").
Entgegen der Ansicht des A werde den Bietern auch kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet (§7 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A). In der von A in seinem Rügeschreiben herangezogenen Entscheidung des OLG Dresden (B. v. 23.04.2009 - WVerg 11/08) hätte zwar der öffentliche Auftraggeber den Bietern nach Ansicht des Gerichts in den Vergabeunterlagen ein ungewöhnliches Wagnis i. S. d. § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A (alte Fassung) auferlegt.
Der vorliegende Sachverhalt unterscheide sich jedoch hiervon schon insoweit, als der AG davon abgesehen habe, den Bietern in den Vergabeunterlagen einseitige Vorgaben zu machen. Vielmehr habe er es den Bietern überlassen, welche Dauer der Gewährleistungsfrist sie zum Inhalt ihres Angebots machen wollten. Orientierte ein Bieter sich an den Regelungen in § 13 VOB/B, was möglich gewesen sei und nicht zum Angebotsausschluss führte, habe er bei diesem Zuschlagskriterium 0 Punkte erhalten. Eine höhere Punktzahl habe ein Bieter zwar nur durch eine längere als in § 13 VOB/B vorgesehene Dauer der Gewährleistungsfrist erhalten können; die Entscheidung, welches rechtliche Risiko der Bieter durch eine längere Gewährleistungsfrist einzugehen bereit gewesen wäre, sei aber bei ihm selbst verblieben.
Auch die von A weiterhin monierte Gewichtung der beiden qualitativen Zuschlagskriterien „Verbesserung der Wärmedurchgangskoeffizienten“ mit jeweils 2,5 % sei vergaberechtlich nicht zu beanstanden.


Anmerkung:

Die Entscheidung zeigt, welche Zuschlagskriterien der Auftraggeber seiner Angebotswertung zugrunde legen kann. Er darf zwar über den nicht abschließenden Katalog des § 16d EU VOB/A hinausgehen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass diese Kriterien einen Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen – siehe § 16d EU Abs. 2 Satz 4 VOB/A. Dieser Bezug wird dann bejaht, wenn sich die Kriterien auf Prozesse in Bezug auf Herstellung, Nutzung, Wartung bis zur Entsorgung, somit auf den gesamtem Lebenszyklus einer Leistung, beziehen (zur Definition der Lebenszykluskosten – siehe § 16d EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A). Demnach gehört auch die Gewährleistungsfrist und deren Länge zu diesem Lebenszyklus der Leistung.