
Zum Ausschluss wegen versuchter unzulässiger Beeinflussung
Die Vergabekammer (VK) Berlin hat mit Beschluss vom 25.04.2025 – VK B 1-1/25 – u.a. folgendes entschieden:
1. Der Ausschluss wegen einer nachweislich schweren Verfehlung, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird, stellt sich schon deshalb als rechtswidrig dar, weil die erforderliche Prognoseentscheidung nicht getroffen wurde.
2. Der Ausschluss wegen des Versuchs einer unzulässigen Beeinflussung der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers setzt einen Versuch voraus, der strafrechtlich relevant ist oder in der Schwere einer schweren beruflichen Verfehlung gleichkommt.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte einen Rahmenvertrag über die Bereitstellung von E-Mail - Postfächern europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Vergabeunterlagen enthielten technische Vorgaben an die Verschlüsselung und den Datenschutz bei der Bereitstellung der E-Mail-Postfächer. Nach Wertung der Angebote informierte der AG den Bieter A mit Vorabinformationsschreiben, dass Bieter B den Zuschlag erhalten werde. A rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung, da das Angebot des B die Vorgaben der Leistungsbeschreibung nicht erfülle und daher ausgeschlossen werden müsse. Der AG half den Rügen nicht ab. A beantragte darauf Nachprüfung. Der AG schloss das Angebot des A zudem u.a. auch noch wegen schwerer Verfehlungen sowie unzulässiger Beeinflussung aus. A wehrte sich gegen den Ausschluss.
Die VK gibt Bieter A Recht und ordnet die Zurücksetzung des Verfahrens vor Wertung an. Der Ausschluss des A sei in allen Punkten rechtswidrig.
Der Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB (Schwere Verfehlung) stelle sich schon allein deshalb als rechtswidrig dar, weil die erforderliche Prognoseentscheidung nicht getroffen worden sei und weil sie unter dem Ermessensfehler des Ermessensausfalls leide. Ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB erfordere nicht nur eine Ermessensausübung, sondern auch eine Prognoseentscheidung, aus der hervorgehe, dass nachvollziehbare sachliche Gründe vorlägen, die die Integrität des Unternehmens infrage stellten. Nach der Rechtsprechung stehe dabei dem Auftraggeber ein durch die VK nur eingeschränkt kontrollierbarer Beurteilungsspielraum zu. Ob der AG hier seinen Beurteilungsspielraum überschritten habe, bedürfe aber bereits keiner Entscheidung, da weder aus dem Ausschlussschreiben noch aus der Vergabeakte eine irgendwie geartete prognostische Entscheidung erkennbar sei. Bereits dies mache die Ausschlussentscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB rechtswidrig.
Des Weiteren litt der Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB an einem Dokumentationsmangel, der auch zu dessen Aufhebung geführt hätte. Ausweislich des Ausschlussschreibens und der Antwort des A auf das Ausschlussschreiben sei der Ausschluss begründet worden mit Anforderungen der Daten mit mindestens fünf verschiedenen Mails an den AG zwischen dem 11.02.2024 und dem 17.03.2024. Mit Ausnahme von zwei Mails seien diese Mails und die Antworten des A hierauf allerdings entgegen § 8 Abs. 1 S. 2 VgV weder in der Vergabeakte zu finden noch seien sie Anlagen der an die VK übersandten Schreiben. Zwar werde in § 8 Abs. 1 VgV der Ausschluss von Angeboten nicht ausdrücklich genannt, aber auch Fragen bezüglich des Ausschlusses seien Entscheidungen im Vergabeverfahren und damit zu dokumentieren, insbesondere die Kommunikation mit Unternehmen, wenn auf deren Inhalte der Ausschluss gestützt werde.
Soweit der AG hier den Ausschluss des A nach § 124 Abs. 1 Nr. 9a GWB (Unzulässige Beeinflussung der Entscheidungsfindung des AG) auf die Einflussnahme während der Vorbereitung des Vergabeverfahrens, bestimmte Mails des A, eine Einschaltung der Presse sowie auf Kontakte zur Vergabestelle nach Absendung des Vorabinformationsschreibens abstelle, seien diese entweder nicht geeignet, eine Einflussnahme von ausreichender Schwere zu begründen oder bereits nicht ausreichend nachgewiesen. Überdies lägen auch hier noch Ermessensfehler bei der Ausschlussentscheidung vor.
Bei dem Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 9a GWB handele es sich um einen sehr weiten Auffangtatbestand, der nach seinem Wortlaut her sehr viele Konstellationen umfassen könne. Daher sei dieser nach der Rechtsprechung bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit restriktiv auszulegen. Grundsätzlich seien nur Manipulationsversuche geeignet, einen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 Nr. 9a GWB darzustellen, wobei das angestrebte Ziel ein rechtswidriges Ergebnis sein müsse. Welche Schwere die Einflussnahme haben müsse, sei nicht abschließend geklärt, angesichts der Schwere der Folge genüge jedenfalls nicht jedweder Versuch. Dabei müsse es sich entweder um den Versuch strafrechtlich relevanten Verhaltens handeln bzw. um Versuche, die in der Schwere einer schweren Verfehlung nach § 124 Abs.1 Nr. 3 GWB gleichkämen (siehe VK Sachsen, Beschluss vom 17.03.2021 -1/SVK/031-20), die wiederum in ihrer Schwere den Ausschlussgründen des § 123 GWB (zwingende Ausschlussgründe) nahekommen müssten Dies läge hier aber für keine der dem A vorgeworfenen Verhaltensweisen vor.
Die dem auszuschließenden Unternehmen vorgeworfenen Handlungen seien durch den öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen. Dazu müsse vor einem Ausschluss noch eine Anhörung zu dem jeweiligen Ausschlussgrund durchgeführt werden (OLG München, Beschluss vom 29.11.2021 - Verg 11/20). Auch diese liege hier nicht bei allen Vorwürfen vor.
Anmerkung:
Wie die Entscheidung zeigt, sind die Hürden für den Auftraggeber, einen Bieter nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 bzw. § 124 Abs.1 Nr. 9a GWB ausschließen zu wollen, äußerst hoch – insbesondere, da den Auftraggeber die Darlegungs- und Beweislast trifft. Des Weiteren führt auch diese Entscheidung einmal mehr vor Augen, dass letztlich jedes Vergabeverfahren nur so gut ist, wie es in den Vergabeunterlagen dokumentiert ist.