
Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien ist zu rügen!
Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat mit Beschluss vom 26.06.2025 – Verg 4/25 – u.a. folgendes entschieden:
1. Der Grundsatz der strikten Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien gehört zum allgemeinen Bieterwissen; ein tatsächlich erkennbarer Verstoß dagegen ist daher auch in rechtlicher Hinsicht i. S. d. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 oder 3 GWB erkennbar und zu rügen.
2. Auch bei evidenten Vergaberechtsverstößen des Auftraggebers (hier: Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien) sind die Nachprüfungsinstanzen daran gehindert, diese Verstöße von Amts wegen aufzugreifen, weil dadurch die Rügepräklusion ihren Sinn verlieren würde.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Leistungen des Wartungsmanagements für Brandschutzanlagen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Zuschlagskriterien waren der Preis mit 60% sowie die Leistungsfähigkeit des Bieters mit 40%, die der AG anhand einer Referenz bewerten wollte. Bieter A erhielt in der Wertung für seine Referenz nur 0 Punkte, weshalb er die Vergabekammer (VK) zur Überprüfung anrief. Er argumentierte dabei nicht nur inhaltlich gegen die Bewertung der Referenz, sondern forderte auch die Aufhebung des Verfahrens, da die Zuschlagskriterien evident rechtswidrig seien. Dagegen argumentierte der AG, dass A vor Angebotsabgabe nicht gerügt habe, weshalb die Zuschlagskriterien als rechtmäßig zu gelten hätten. Die VK wies den Antrag des A zurück, weshalb er Beschwerde zum BayObLG erhob.
Das BayObLG gibt hier dem AG Recht; der Antrag des A sei unbegründet. Anders als A im Beschwerdeverfahren meine, sei der Vergabekammer auch darin zuzustimmen, dass die (jedenfalls bis zum Abschluss des Verfahrens vor der Vergabekammer) nicht beanstandeten Aspekte - Verwendung eines Kriteriums der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit als Zuschlagskriterium sowie die Methode für die Bewertung der preislichen Bestandteile der angebotenen Leistung - der Rügepräklusion gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB unterlägen.
Das gelte zunächst in tatsächlicher Hinsicht. Aus den Vergabeunterlagen sei deutlich erkennbar, dass Referenzen zur Leistungsfähigkeit sowohl als Eignungs- als auch als Zuschlagskriterium in Anschlag gebracht werden sollten. Letzteres ergebe sich ohne Weiteres aus der Wertungsmatrix, nach der die "Leistungsfähigkeit" durch mindestens einen Referenzauftrag vergleichbarer Anlagengröße belegt und im Rahmen der in der Wertungsmatrix aufgeführten Zuschlagskriterien eine Gewichtung von 40 % erhalten sollte. Erstere sei Gegenstand der Ausschreibung, nach der hinsichtlich des Eignungskriteriums "Technische und berufliche Leistungsfähigkeit" „Referenzen in Form einer Liste der wesentlichen in den letzten drei Jahren erbrachten Leistungen in vergleichbarer Größenordnung" vorzulegen gewesen seien. Ganz besonders deutlich werde hier die doppelte Bedeutung von Referenzen nach den Vergabeunterlagen in den Allgemeinen Bewerbungsbedingungen. Darin würden die Bieter aufgefordert zu beachten, dass zusätzlich zu den Referenzen zum Beleg der Eignung in technischer und beruflicher Hinsicht in der Wertungsmatrix eine Wertungsreferenz benannt werden müsse, bei der es sich auch um eine der bereits zum Beleg der Eignung vorgelegten Referenz handeln dürfe. Die tatsächliche Erkennbarkeit der Problematik könne daher nicht in Zweifel stehen.
Die gegenteilige Argumentation des A, Referenzen würden oft nicht nur als reine Eignungsnachweise herangezogen, sondern häufig auch zur qualitativen Bewertung der Leistung, sodass die Verwendung als Zuschlagskriterium gerade nicht ohne Weiteres erkennbar gewesen sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Es sei, wie dargelegt, in tatsächlicher Hinsicht offensichtlich, dass hier ein und dieselbe Referenz Grundlage der Eignungsprüfung und der Wertung sein sollte.
Wie bereits der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH - Urteil vom 12. 11. 2009 - Rs. C-199/07) ausgeführt habe, seien als Zuschlagskriterien solche Kriterien ausgeschlossen, die nicht der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots dienten, sondern die im Wesentlichen mit der Beurteilung der fachlichen Eignung der Bieter für die Ausführung des betreffenden Auftrags zusammenhingen. Die sich damit stellende Frage, ob dieser (rechtliche) Umstand nach den oben dargestellten Kriterien erkennbar gewesen sei oder nicht, sei zu bejahen. Die Rechtsprechung habe bereits seit langem eindeutig festgestellt, "dass die strikte Trennung von Zuschlags- und Eignungskriterien zum allgemeinen und grundlegenden Wissen der betroffenen Bieterkreise gehöre" (OLG München, B. v. 25.07.2013 – Verg 7/13; OLG Frankfurt, B. v. 04.12.2023 – 11 Verg 5/23).
Der durchschnittliche Bieter kenne die Grundstrukturen des Vergabeverfahrens und damit auch die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Eignungs- und Wertungskriterien; er wisse, dass es kein Mehr oder Weniger an Eignung im Sinn des § 122 GWB gebe und Eignungs- und Wertungskriterien grundsätzlich zu trennen seien.
Unbeachtlich sei der von A erhobene Einwand, nicht jeder Bieter könne "solche Feinheiten" kennen, vor allem, wenn er nicht über eine eigene Rechtsabteilung oder dauerhaften juristischen Beistand verfüge; auch würden so weniger erfahrene Bieter von vornherein ausgeschlossen. Damit verkenne A, dass es nicht auf die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten eines jeden individuellen Bieters ankomme, sondern auf einen durchschnittlich fachkundigen Bieter, der die übliche Sorgfalt anwende. Der Einwand des A, es würden in der Praxis häufig Referenzen auch zur qualitativen Bewertung herangezogen, lasse lediglich den Schluss zu, dass auch Vergabestellen bisweilen gegen den allgemein bekannten und durch langjährige Rechtsprechung gesicherten Grundsatz der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien verstießen. Der Verstoß bleibe vorliegend gleichwohl (rechtlich) erkennbar und hätte gem. § 160 Abs. 3 Nr. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 GWB gerügt werden müssen. Da dies hier nicht der Fall gewesen sei und die Nachprüfungsinstanzen gehindert seien, derartige Vergabeverstöße von Amts wegen aufzugreifen (siehe Tenor Nr.2), sei die Beschwerde des A unbegründet.
Anmerkung:
Wie die Entscheidung zeigt: Referenzen, die regelmäßig als Eignungskriterien im Rahmen der Eignungsprüfung abgefragt und geprüft werden, haben bei den Zuschlagskriterien absolut nichts verloren! Im vorliegenden Fall hat der AG somit einen vergaberechtlichen Kardinalfehler begangen, der unweigerlich dazu geführt hätte, dass die Nachprüfungsinstanzen das Verfahren für rechtswidrig erklärt hätten. Nur weil es der Bieter unterlassen hat, diesen evidenten Fehler zu rügen, hatte der AG hier großes Glück!
Fazit: Die Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien ist eindeutig rechtswidrig und - da für Bieter erkennbar - vor Angebotsabgabe unbedingt zu rügen!