Enge Verzahnung der Gewerke – Gesamtvergabe?

Enge Verzahnung der Gewerke – Gesamtvergabe?

Enge Verzahnung der Gewerke – Gesamtvergabe?

  • Vergaberecht & Baurecht
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Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 28.04.2025 – VK 2-27/25 – u.a. folgendes entschieden:
1.Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Fachlose liegen vor, wenn für die einzelnen Leistungen ein eigener Markt besteht. Das ist bei Erd- und Spezialtiefbauarbeiten und dem Abbruch/der Demontage einer Brücke der Fall.
2. Der Grundsatz der Fachlosvergabe gilt nicht schrankenlos. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.
3. Technische Gründe sind solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machen. Sie liegen vor, wenn bei getrennten Ausschreibungen das Risiko besteht, dass der Auftraggeber Teilleistungen erhält, die zwar jeweils ausschreibungskonform sind, aber nicht zusammenpassen und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, den Beschaffungsbedarf in der angestrebten Qualität zu befriedigen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte den Abbruch und Neubau einer Brücke im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Die ausgeschriebene Bauleistung bestand aus einer Vielzahl von Einzelleistungen, u.a. Abbruch der Brücke, Kampfmittelerkundung, Bodenaushub inkl. Verwertung/Entsorgung, Oberflächenbefestigung, Abdichtung Überbau und Nebenanlagen. Wertungskriterien waren der Preis zu 70 % und der technische Wert, der anhand einzureichender Konzepte zum Bauablauf bewertet wurde, zu 30 %. Lose wurde nicht gebildet. Im VOB – Vergabevermerk fand sich u.a. folgender Text: "Art und Umfang der Leistung lassen eine Aufteilung in Lose nicht sinnvoll erscheinen, da die Maßnahme - wie bei Brücken als Stahlverbundbrücke üblich - nur aus einem maßgebenden Los Massivbau besteht. Des Weiteren ist der Überbau technisch nicht von den Widerlagern zu trennen. Der Bau einer solchen Brücke bringt eine enge Verzahnung der Gewerke mit sich, wodurch eine losweise Vergabe ineffizient wäre (siehe Bauphasenpläne). Eine gewerkeweise Auftrennung in Lose ist insbesondere auch aufgrund der fortlaufenden wechselseitigen Leistungen technisch und wirtschaftlich nicht umsetzbar. Bieter A, der sich auf die Ausführung von Rückbaumaßnahmen von Gebäuden, auch Brückenbauwerken, und die Ausführung von Erdarbeiten spezialisiert hatte, rügte die unterlassene Fachlosbildung und beantragte nach Nichtabhilfe seiner Rüge Nachprüfung.
Die VK gibt hier dem AG Recht, da die Gesamtvergabe nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB gerechtfertigt sei. Die Vorschrift des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB statuiere den Grundsatz der losweisen Vergabe. Diese sei der vom Gesetzgeber gewollte Regelfall. Fachlose lägen begrifflich dann vor, wenn für die einzelnen Leistungen ein eigener Markt bestehe (OLG Düsseldorf, 21.08.2024 - Verg 6/24). Dies sei bei den von A begehrten Teilleistungen, den Erdarbeiten, dem Spezialtiefbau und dem Abbruch / der Demontage, der Fall, was auch vom AG nicht in Zweifel gezogen worden sei.
Der Grundsatz des § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB gelte allerdings nicht schrankenlos. Wie aus § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB folge, dürften mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erforderten. Sei der öffentliche Auftraggeber der Auffassung, dass eine Ausnahme von dem Grundsatz der Losaufteilung in Betracht komme, habe er eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen. Es genüge nicht, wenn die für eine Gesamtvergabe sprechenden Gründe anerkennenswert seien, sondern sie müssten überwiegen. Dabei sei dem öffentlichen Auftraggeber bei seiner Entscheidung ein von den Nachprüfungsinstanzen nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Ausgehend hiervon ließen die vom AG im  Vergabevermerk jedenfalls im Ansatz bereits angeführten Gründe, die vom AG hier zulässigerweise noch ergänzt worden seien, den Schluss zu, dass technische Gründe im Sinne des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorlägen, welche eine Gesamtvergabe rechtfertigten.
Technische Gründe seien solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machten. Sie lägen vor, wenn bei getrennten Ausschreibungen das Risiko bestehe, dass der Auftraggeber Teilleistungen erhalte, die zwar jeweils ausschreibungskonform seien, aber nicht zusammenpassten und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht geeignet seien, den Beschaffungsbedarf in der angestrebten Qualität zu befriedigen. Dies könne der Fall sein, wenn für ein Bauwerk eine besondere Abstimmung der Errichtungsschritte erforderlich sei, die bereits während des Erstellungsprozesses besondere Maßnahmen aus einer Hand erforderten.
Dem VOB-Vergabevermerk des AG sei im Wesentlichen zu entnehmen, dass der Abriss der Bestandsbrücke und der Neubau der Brücke eine enge Verzahnung der Gewerke mit sich bringe, so dass eine losweise Vergabe ineffizient sein würde; der AG verweise im Vergabevermerk ergänzend auf die Bauphasenpläne. Eine Aufteilung der ausgeschriebenen Bauleistung in einzelne Gewerke sei insbesondere aufgrund der fortlaufenden, ineinandergreifenden Leistungen technisch und wirtschaftlich nicht umsetzbar. Anders als z.B. im Hochbau, wo die Gewerke regelmäßig in einer zeitlichen Abfolge nacheinander abgewickelt würden, sei dies bei dem vorliegenden Vorhaben gerade nicht der Fall, denn die einzelnen Gewerke wiederholten sich während des gesamten Bauablaufs teils mehrfach. Nur durch ein koordinierendes Generalunternehmen sei die Einhaltung des geplanten Projektablaufs möglich. Die zeitlich eng miteinander verflochtenen und in verschiedenen Bauphasen wiederkehrenden Bauleistungen seien auch technisch eng miteinander verknüpft, so dass bereits während des Erstellungsprozesses besondere Maßnahmen aus einer Hand erforderlich seien. Der AG habe darauf hingewiesen, dass vor diesem Hintergrund nicht von einzelnen Gewerken gesprochen werden könne, sondern dass es sich bei den verschiedenen Phasen um Gesamtleistungen handele, bei denen mehrere Gewerke zusammenwirken müssten.
Vor diesem Hintergrund sei daher die Gesamtvergabe im vorliegenden Falle rechtmäßig.

Anmerkung:

Die Thematik „losweise Vergabe/Gesamtvergabe“ gemäß § 97 Abs. 4 GWB kann vergaberechtlich nur als absoluter Dauerbrenner bezeichnet werden.
Wichtig an der o.g. Entscheidung ist, dass der Begriff der „technischen Gründe“ konkreter definiert wird. Ebenfalls wird noch einmal eindeutig festgestellt, dass sich der AG bei einer Gesamtvergabe speziell in seiner Dokumentation des Verfahrens sehr intensiv mit der Abwägung „Aufteilung in Lose/ Gesamtvergabe“ auseinandersetzen und nachvollziehbar darstellen muss, dass die Gründe für eine Gesamtvergabe (technischer bzw. wirtschaftlicher Art) eindeutig überwiegen.