Bedarfspositionen sind nur ausnahmsweise zugelassen!

Bedarfspositionen sind nur ausnahmsweise zugelassen!

Bedarfspositionen sind nur ausnahmsweise zugelassen!

  • Vergaberecht & Baurecht
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Die Vergabekammer (VK) Westfalen hat mit Beschluss vom 10.02.2025 – VK 2-2/25 – folgendes entschieden:
1. Die Vergabe von Bedarfs- bzw. Eventualpositionen ist nicht generell ausgeschlossen, unterliegt jedoch umfassenden Anforderungen, da diese dem Gebot der Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung entgegenstehen sowie die Transparenz des Vergabeverfahrens und der Vergabeentscheidung beeinträchtigen können.
2. Bedarfspositionen sind vergaberechtlich lediglich ausnahmsweise zugelassen und dann auch nur, wenn spezifische Anforderungen bei den Ausschreibungsbedingungen und bei der Angebotswertung beachtet werden.
3. Der öffentliche Auftraggeber muss unter Ausschöpfung ihm zumutbarer Erkenntnismöglichkeiten zuvor den Versuch einer eindeutigen Klärung der Leistungsbeschreibung unternehmen. Bedarfspositionen sind kein Hilfsmittel, die Unvollständigkeit einer Planung zu kompensieren.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Generalplanungsleistungen im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs forderte er 4 Unternehmen zur Angebotsabgabe auf, darunter Bieter A. Zuschlagskriterien waren die Qualität zu 70% und der Preis zu 30%. In dem mit den Vergabeunterlagen zur Verfügung gestellten Mustervertrag waren Regelungen zur Beauftragung und dem stufenweisen Abruf enthalten: Der Auftragnehmer war danach zur Erbringung der Leistungsbilder „Objektplanung Gebäude“ und „Tragwerksplanung“, jeweils Leistungsphasen (LPh) 1 bis 2 sowie 6 bis 7 verpflichtet. Von diesen Leistungen konnte der AG nach Abschluss des Vertrags die LPh 1 und 2 abrufen; den Abruf der weiteren LPhn behielt er sich vor, die Bieter hatten darauf jedoch keinen Anspruch. In der Darstellung der Wertungskriterien war kein Hinweis an die Bieter auf diese vertraglichen Regelungen enthalten. Nachdem der AG mitteilte, den Zuschlag an Bieter B zu erteilen, rügte A verschiedene Punkte und beantragte Nachprüfung. Erst im Nachprüfungsverfahren trug er vor, dass sich einige Zuschlagskriterien auf die LPh 6 und 7 beziehen würden, deren Beauftragung nach dem Vertrag jedoch ungewiss sei. Der AG sah diesen Hinweis wegen fehlender Rüge als präkludiert (verspätet) an.
Die VK gibt Bieter A Recht und ordnet die Zurücksetzung des Verfahrens vor Angebotslegung an. Der Vortrag des A sei hier nicht präkludiert. A ziele mit seinem Einwand darauf ab, dass der AG die Bewertung von Leistungskriterien für die LPh 6 und 7 vorgenommen habe, obwohl deren Beauftragung zum Zeitpunkt der Wertung nicht sicher gewesen sei. Die Vergabeunterlagen und auch der Vertragstext seien zwar A mit Veröffentlichung bekannt gewesen. Allerdings müsse er diese Umstände nicht als vergaberechtswidrig bewerten und rügen. Denn die Frage der Anforderungen an Ausschreibung und Wertung von Bedarfspositionen sei wenig geklärt und vertieftes Wissen hierzu könne auch von erfahrenen Bietern nicht erwartet werden. 
Die Anforderungen an die Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung und Bewertung von nur bei bestehendem Bedarf relevanten Leistungen seien hier nicht eingehalten. Der AG habe durch vertragliche Regelung bestimmt, dass die Bieter sich zur Erbringung der genannten Lphn mit Auftragserteilung verpflichteten. Dabei rufe er aber ausschließlich die Lph 1 und 2 mit der Zuschlagserteilung ab. Einseitig offen gelassen werde dagegen, ob die Leistungen aus Lph 6 und 7 zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen würden. Der Auftragnehmer habe hierauf jedenfalls keinen Anspruch. Damit habe der AG in das Verfahren Leistungen aufgenommen, deren Ausführung nicht sicher seien. Dabei handele es sich nicht um eine  Verlängerungsoption, bei der die ursprüngliche Leistungszeit ausgedehnt werde, sondern um Bedarfs- bzw. Eventualpositionen.
Die Vergabe solcher Bedarfs- bzw. Eventualpositionen sei nicht generell ausgeschlossen, unterliege jedoch umfassenden Anforderungen, da diese dem Gebot der Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung aus § 121 Abs. 1 GWB entgegenstehen sowie die Transparenz des Vergabeverfahrens und der Vergabeentscheidung aus § 97 Abs. 1 GWB beeinträchtigen könnten. Sie eröffneten dem öffentlichen Auftraggeber zudem eine Steuerungsmöglichkeit bei der Wertung und machten damit "willfährige Vergabeentscheidungen" möglich. Bedarfspositionen seien vergaberechtlich nur ausnahmsweise zugelassen und dann auch nur, wenn spezifische Anforderungen bei den Ausschreibungsbedingungen und bei der Angebotswertung beachtet würden.
Der öfftl. AG müsse unter Ausschöpfung ihm zumutbarer Erkenntnismöglichkeiten zuvor den Versuch einer eindeutigen Klärung der Leistungsbeschreibung unternehmen. Bedarfspositionen seien kein Hilfsmittel, die Unvollständigkeit einer Planung zu kompensieren. Nur wenn die Aufklärung nicht gelinge und der AG einen sachlich gerechtfertigten Grund, ein anzuerkennendes Bedürfnis oder objektives Interesse nachweisen könne, dürfe in der Leistungsbeschreibung im Unklaren gelassen werden, ob eine Bedarfsposition zur Ausführung kommen könne. Der Grund sei im Vergabevermerk zu dokumentieren. Im LV seien die inhaltlichen Anforderungen an die Eventualleistung zu beschreiben. Ferner seien Bedarfspositionen aus Gründen der Transparenz vom AG in der Leistungsbeschreibung unmissverständlich zu kennzeichnen. Zudem habe der Auftraggeber nachprüfbare Kriterien anzugeben, die für die Inanspruchnahme und die Wertung von Bedarfspositionen ausschlaggebend seien, und an denen die Bieter vorher erkennen könnten, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Maßstäben das einer Bedarfsposition geltende Angebot gewertet werde oder nicht. Auf den Umfang von Bedarfspositionen, die in der Leistungsbeschreibung enthalten seien, komme es dabei nicht an, da auch kleinere oder wenige Bedarfspositionen in der Gesamtschau geeignet seien, das Wertungsergebnis zu beeinflussen. Bedarfsleistungen müssten jedoch nicht bereits in die Vergabebekanntmachung aufgenommen werden.
Nach diesen Vorgaben erfüllten hier die Vergabeunterlagen die Anforderungen nicht. Der AG habe lediglich durch die vertraglichen Regelungen die Bedarfspositionen bestimmt. Eine ausdrückliche und klare Benennung der Bedarfspositionen in den Vergabeunterlagen habe er nicht vorgenommen. Insbesondere bei den Preisblättern, den Zuschlagskriterien und dem Bewertungsschema fehle es an einer erforderlichen unmissverständlichen Kennzeichnung. Das Aufführen der Bedarfspositionen im Mustervertag sei hierfür nicht ausreichend. Die in den Lph 6 und 7 zu erbringenden Leistungen seien somit nicht ausreichend als Bedarfsleistung in den Vergabeunterlagen gekennzeichnet.

Anmerkung:
Speziell bei der Vergabe von Planungsleistungen sind Stufenverträge (und damit Bedarfspositionen) nicht selten. Bei diesen Verträgen müssen die Bieter Ressourcen bereithalten, deren Abruf ungewiss ist. Allerdings muss der AG auch dabei in der Ausschreibung deutlich machen, wie diese Bedarfspositionen bei der Wertung berücksichtigt werden, selbst wenn er diese letztlich nicht abruft. Bei der Vergabe von Bauleistungen gilt dagegen grundsätzlich: Finger weg von Bedarfspositionen! (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A).