Gesprächseinladung führt zu Selbstbindung des Auftraggebers?

Gesprächseinladung führt zu Selbstbindung des Auftraggebers?

Gesprächseinladung führt zu Selbstbindung des Auftraggebers?

  • Vergaberecht & Baurecht
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Die Vergabekammer (VK) Südbayern hat mit Beschluss vom 18.07.2024 – 3194.Z3-3_01-24-27 – u.a. folgendes entschieden:
1. Lädt der Auftraggeber zu Verhandlungsgesprächen ein, macht er damit aus Sicht eines verständigen Bieters deutlich, dass er von einem in der Bekanntmachung enthaltenen Vorbehalt nach § 17 Abs. 11 VgV keinen Gebrauch macht. Dies führt zu einer Verpflichtung des Auftraggebers zur Durchführung von Verhandlungen nach § 17 Abs. 10 VgV und zur Aufforderung zu einem finalen Angebot nach § 17 Abs. 14 VgV.
2. Es sprechen gute Gründe dafür, dass der Auftraggeber die entstandene Selbstbindung nicht dadurch wieder aufheben kann, dass er das Verhandlungsverfahren in das Stadium vor der Einladung zu den Verhandlungsgesprächen zurückversetzt.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Planungsleistungen im Verhandlungs-verfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Darin behielt er sich ausdrücklich das Recht vor, den Zuschlag auf die Erstangebote ohne Verhandlungen zu erteilen. Nachdem die Erstangebote eingegangen waren, wurden nach vorheriger Einladung im Rahmen einer Sondersitzung des Gemeinderats am 08.05.2024 jeweils mit den Bietern Gespräche durchgeführt. Diese Gespräche wurden in der Vergabeakte nicht dokumentiert. Ausweislich des Vergabevermerks wurden die eingereichten Erstangebote jedoch zuvor einer Wertung unterzogen. Eine Aufforderung an die Bieter zur Abgabe eines finalen Angebots erfolgte nicht. Im folgenden setzte der AG mit Vorabinformationsschreiben den Bieter A davon in Kenntnis, dass auf sein Angebot nicht der Zuschlag erteilt werden könne, da es nicht so viele Wertungspunkte erhalten habe wie das Angebot des erfolgreichen Bieters B. Nach erfolgloser Rüge beantragte A Nachprüfung u.a. mit der Begründung, er sei nicht aufgefordert worden, ein finales Angebot abzugeben. Der AG war dagegen der Auffassung, er habe kein Verhandlungsgespräch durchgeführt, sondern lediglich Präsentationen mit den Bietern; er dürfe daher den Zuschlag auf das Erstangebot des B erteilen.

Die VK gibt Bieter A Recht. Der AG habe zu Unrecht davon abgesehen, die Bieter nach § 17 Abs. 14 VgV zur Abgabe eines finalen Angebots aufzufordern. Zudem wäre der AG auch verpflichtet gewesen, mit den Bietern in Verhandlungen i. S. d. § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV einzutreten, falls der Termin in der Gemeinderatssitzung am Abend des 08.05.2024 nicht als Verhandlung im Rechtssinne qualifiziert werden könne. Aufgrund der vollständig fehlenden Dokumentation dieses Termins könne die Frage allerdings nicht mehr geklärt werden.
Das Einladungsschreiben zu Verhandlungsgesprächen vom 12.04.2024 sei nach dem objektiven Empfängerhorizont eines verständigen Bieters nur so zu verstehen, dass der AG von seinem Vorbehalt nach § 17 Abs. 11 VgV in der Bekanntmachung keinen Gebrauch machen und in Verhandlungen eintreten wolle. Insbesondere im Zusammenhang mit den Regelungen in der Aufforderung zur Angebotsabgabe, wo der Auftraggeber noch erklärt habe, er werde nur in dem Fall in Verhandlungen eintreten und den Termin dann mitteilen, wenn sich auf Grundlage der eingereichten Angebotsunterlagen kein klares Wertungsergebnis ergebe, könne das Einladungsschreiben vom 12.04.2024 mit den mehrmalig genutzten Formulierungen "Verhandlungsgespräch" und der Formulierung "die gesamten Angebotsunterlagen […] sollen besprochen und präzisiert werden", nur so verstanden werden, dass der AG jetzt doch in Verhandlungen eintreten wolle. Auch wenn der AG dies nach seinen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor der VK gar nicht beabsichtigt habe, führe das Einladungsschreiben im vorliegenden Fall wegen der Verpflichtung zu einer transparenten Verfahrensführung zu einer Selbstbindung des AG zur Durchführung einer Verhandlung nach § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV und daraus folgend nach § 17 Abs. 14 VgV zur Verpflichtung des AG, den Bietern die Möglichkeit der Abgabe eines finalen Angebots einzuräumen.

Aufgrund der völlig fehlenden Dokumentation der Gespräche vom 08.05.2024 könne letztlich nicht geklärt werden, ob eine Verhandlung i. S. d. § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV stattgefunden habe. Dagegen spreche insbesondere, dass es kaum vorstellbar sei, dass inhaltliche Verhandlungsgespräche i. S. d. § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV in den kurzen vorgesehenen Zeiträumen im Rahmen einer Sitzung des Plenums des Gemeinderats geführt worden seien. Andererseits könne es für die Annahme einer Verhandlung im Sinne des § 17 Abs. 10 Satz 1 VgV genügen, dass Bieter im Rahmen ihrer Präsentation eine inhaltliche Verbesserung ihres Angebots in Aussicht stellten. Die Frage müsse aber nicht abschließend geklärt werden, weil Bieter A jedenfalls dadurch in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sei, dass er unstreitig nicht zur Abgabe eines finalen Angebots aufgefordert worden sei.

Im Ergebnis sei A sowohl durch die fehlende Nachvollziehbarkeit des Termins am 08.05.2024 als auch die fehlende Aufforderung zu einem finalen Angebot in seinen Rechten verletzt. Die Rechtsverstöße erforderten daher eine Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe der Erstangebote.


Anmerkung:

Auch wenn die o.g. Entscheidung für Planungsleistungen gemäß VgV erging, kann sie 1:1 auch auf Verhandlungsverfahren nach der VOB/A übertragen werden – siehe § 3b EU Abs. 3 VOB/A.
Im entschiedenen Fall hat sich der AG durch die Einladung zu Verhandlungs-gesprächen selbst gebunden - mit der Folge, dass er keinen Zuschlag auf die Erstangebote mehr erteilen kann. Für eine eigene Zurückversetzung bräuchte er nach Ansicht der VK einen sachlichen Grund, der hier aber nicht ersichtlich sei (siehe Tenor Nr. 2). Um diese Selbstbindung zu vermeiden, wäre es für den AG hier besser gewesen, er hätte zu Verhandlungen eingeladen, in dieser Einladung aber ausdrücklich klargestellt, dass er noch nicht über die Frage entschieden habe, ob ein Erstangebot bezuschlagt werden soll. Damit hätte sich der AG die Möglichkeit offenhalten, bis zum Verhandlungstermin noch einem Erstangebot den Zuschlag erteilen zu können.