Zur ordnungsgemäßen Dokumentation der Preisprüfung
Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 19.02.2025 - VK 1-2/25 - folgendes entschieden:
1. Jedenfalls bei einem Abstand von mehr als 20% zwischen dem Angebotspreis des Bestbieters zum nächsten Angebot ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, die Angebotspreise zu überprüfen.
2. Mitbieter haben einen Anspruch darauf, dass diese Prüfung vergaberechtskonform erfolgt.
3. Der öffentliche Auftraggeber muss seine für die abschließende Wertungsentscheidung maßgeblichen Erwägungen so dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, wie die Überprüfung der Angebotspreise und deren Kalkulation vorgenommen wurde (hier verneint).
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im nicht offenen Verfahren die Kampfmittelräumung nach VOB/A-VS (VOB/A im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich) ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Acht Bieter, darunter A und B, gaben darauf Angebote ab. Der mindestbietende B lag ca. 25% unter dem Preis des zweiplatzierten Bieters A. Das vom AG beauftragte Ingenieurbüro klärte den Angebotspreis auf. Die Preisangaben des B wurden "rechnerisch, technisch und wirtschaftlich geprüft"; im Vergabevorschlag hieß es dazu, dass die Auftragssumme "deutlich unterhalb der geschätzten Vergabesumme liege, weil Preise von der aktuellen Marktlage abhängig seien. Es liege nach Prüfung ein wirtschaftliches Angebot vor." In einer Aktennotiz hieß es weiter: „Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die in der Kostenschätzung berücksichtigten Sicherheiten nicht die entsprechenden Auswirkungen hatten." In derselben Aktennotiz wurde darauf verwiesen, dass B bereits früher zur Zufriedenheit des AG geleistet habe sowie auf weitere Erfahrungen des B aus anderen Baumaßnahmen. „Aufgrund der vorliegenden Bearbeitungen sei davon auszugehen, dass B in der Kalkulation die Risiken der Angebotserstellung ausreichend gewürdigt habe." Der AG beabsichtigte daher, B den Zuschlag zu erteilen, was Bieter A rügte und dagegen Nachprüfung beantragte.
Die VK gibt Bieter A Recht. Die Vergabedokumentation entspreche nicht den Anforderungen des § 20 VOB/A - VS. Denn die in der Vergabeakte befindliche Aufklärung und Prüfung der Angebote enthalte nicht alle Informationen, die notwendig seien, damit die VK die nach erfolgter Aufklärung und Überprüfung der Kalkulation der Angebote ergangene Zuschlagsentscheidung des AG nachvollziehen und im Ergebnis als vergaberechtsfehlerfrei beurteilen könne.
Die Bieter seien in der Kalkulation ihrer Preise nach der Rechtsprechung des BGH zwar grundsätzlich frei (vgl. BGH, Urt. v. 19. 06.2018 - X ZR 100/16). Jedenfalls bei einem Abstand von mehr als 20% zwischen dem Angebotspreis des Zuschlagsdestinatärs zum nächsten Angebot sei der Auftraggeber gemäß § 16d VOB/A-VS (bzw. EU VOB/A) verpflichtet, die Angebotspreise zu überprüfen. Mitbieter (wie hier A) hätten einen Anspruch darauf, dass diese Prüfung vergaberechtskonform erfolge. Der Auftraggeber müsse daher seine für die abschließende Wertungsentscheidung maßgeblichen Erwägungen so dokumentieren, dass nachvollziehbar sei, wie die Überprüfung der Angebotspreise und deren Kalkulation vorgenommen worden sei (§ 20 VOB/A-VS, § 97 Abs. 1 GWB). Dazu müsse die Dokumentation alle Informationen enthalten, die notwendig seien, um die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen zu können (vgl. BGH, B. v. 04. 04. 2017, X ZB 3/17; OLG Düsseldorf, B. v. 16.10. 2019, VII - Verg 6/19).
Dies sei hier nicht hinreichend geschehen. Aufgrund des Submissionsergebnisses und des Preisspiegels, nach dem der Angebotspreis des B ca. 25% unter der eigenen Auftragswertschätzung und dem zweitplatzierten Angebot des A liege, habe der AG die Preise und deren Kalkulation zwar bei den drei erstplatzierten Bietern aufgeklärt. Wie aus den einzelnen Aufklärungsfragen des vom AG eingesetzten Ingenieurbüros ersichtlich werde, habe es auch einen großen Aufklärungsbedarf gegeben. Dem Prüfungsergebnis ("Es liege nach Prüfung ein wirtschaftliches Angebot vor") sei zwar zu entnehmen, dass die Antworten des B die Fragen und Zweifel des Prüfbüros ausgeräumt zu haben scheinen. Die konkreten Erwägungen hierzu ließen sich der Vergabeakte jedoch nicht entnehmen. Allein die Haken, die das Prüfbüro an einzelnen Angaben des B gemacht habe und der teilweise angebrachte Zusatz "rechnerisch, technisch und wirtschaftlich geprüft" bestätigten lediglich, dass eine solche Prüfung stattgefunden habe und die Äußerungen des B gewürdigt worden seien. Eine durch die VK nachprüfbare Begründung sei darin jedoch nicht enthalten. Es sei mithin nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Erwägungen der AG bzw. das Ingenieurbüro trotz des festgestellten erheblichen Preisabstands und obwohl weitere Nachfragen veranlasst gewesen seien zu dem Prüfungsergebnis gelangt sei, dass das Angebot des B bezuschlagt werden könne.
Die wenigen Argumente, auf die der AG (im Anschluss an sein Ingenieurbüro) die Wertungsentscheidung in der Vergabeakte stütze, reichten ebenfalls nicht aus, um dieses Prüfungsergebnis nachvollziehen zu können. So führe das Ingenieurbüro in seinem Vergabevorschlag zwar aus, dass die Abweichung des Angebotspreises des B von der selbst geschätzten Vergabesumme auf die "aktuelle Marktlage" zurückzuführen sei. Wie diese "Marktlage" ermittelt worden sei, ergebe sich jedoch aus der Vergabeakte nicht. Daher sei auch nicht nachprüfbar, ob die betreffenden Einschätzungen vertretbar seien. Jedenfalls werde die aus dem Angebotspreis des B und den von ihm vorgelegten Kalkulationsunterlagen (die u.a. Rechnungen der von ihm eingesetzten Lieferanten enthielten) ersichtliche "Marktlage" nicht durch die (wohl ebenfalls auf "der Marktlage" beruhenden) Auftragswertschätzung der Antragsgegnerin bestätigt.
Der AG habe daher - soweit seine Beschaffungsabsicht weiterhin bestehe - im Rahmen der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens die Prüfung der Angebotspreise nachzuholen und entsprechend zu dokumentieren.
Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt eindrücklich, welche Fehler Auftraggeber insbesondere bei der Preisprüfung und deren Dokumentation wiederholt machen. So wird zwar das Aufklärungsprozedere speziell bei Vorliegen eines evtl. unangemessen niedrigen Angebotspreises gemäß § 16d EU VOB/A bzw. § 60 VgV durchgeführt, die konkreten Einzelheiten und Erwägungen, aus welchen Gründen die Preisprüfung zu einem bestimmten Ergebnis (siehe § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A bzw. § 60 Abs. 3 VgV) geführt haben, werden jedoch nicht dokumentiert. Dies ist aber absolut essentiell, da sonst Dritte wie z.B. die Vergabekammern oder auch Rechnungsprüfungsämter die maßgeblichen Erwägungen nicht nachvollziehen können. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung.