
ESG-Regulierung durchdringt gesamte Immobilienbranche
In der aktuellen Praxis zeigt sich, dass ESG-Kriterien nicht nur eine politische Forderung, sondern inzwischen zentrale Bewertungsgrundlage für Finanzierungen geworden sind. Nach Einschätzung von Marktteilnehmern wie der Hamburg Commercial Bank und der REIC-Gruppe ist die Einhaltung regulatorischer ESG-Vorgaben zunehmend Voraussetzung für Kreditvergaben, besonders bei langfristigen Finanzierungen und Transaktionen. Immobilien, die nicht zertifiziert sind, gelten am Markt als kaum noch platzierbar – insbesondere bei institutionellen Käufern.
Praxisbeispiel OFFICE LAB CAMPUS
Ein konkretes Beispiel für die Anwendung der ESG-Kriterien bietet ein Neubauprojekt in Berlin-Adlershof. Der OFFICE LAB CAMPUS wurde nach der EU-Taxonomie durch die DGNB verifiziert und erfüllte die Anforderungen in klimarelevanten Kategorien mit Bestwerten. Basis dafür war unter anderem der geringe Primärenergieverbrauch dank nachhaltiger Fernwärmeversorgung und intelligenter Gebäudetechnik. Neben der Umweltkomponente wurde auch die soziale Dimension betont – als Argument für zukünftige Verkaufsprozesse sowie als Kriterium für die Vermietbarkeit gegenüber mittelständischen Unternehmen.
ESG-Berichtspflichten systematisch aufbauen
Die wachsenden Anforderungen an ESG-Berichterstattung führen dazu, dass sich insbesondere Bestandshalter und Immobilienverwalter mit der systematischen Erhebung und Dokumentation relevanter Daten auseinandersetzen müssen. Für Neubauten kann dabei auf etablierte Zertifizierungen wie DGNB, LEED oder BREEAM zurückgegriffen werden. Bei Bestandsobjekten bleibt die Datenlage oft lückenhaft, was hohe Anforderungen an die internen Prozesse und IT-Strukturen stellt.
Investorenfokus auf Artikel-8-Fonds
Ein Großteil der ESG-konformen Investmentstrategien konzentriert sich derzeit auf sogenannte Artikel-8-Fonds nach der EU-Offenlegungsverordnung. Diese Fonds streben eine Verbesserung ökologischer und/oder sozialer Merkmale an. Artikel-9-Fonds, die ein konkretes Nachhaltigkeitsziel verfolgen, sind derzeit weniger stark nachgefragt. Die Herausforderung liegt vor allem in der hohen Komplexität und Heterogenität der Immobilien – jedes Objekt verlangt eine individuelle ESG-Bewertung, was die Vergleichbarkeit erschwert.
Banken ergänzen EU-Taxonomie durch eigene Kriterien
Zahlreiche Banken haben inzwischen interne Nachhaltigkeitsrahmenwerke etabliert, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen. Die Hamburg Commercial Bank etwa berücksichtigt bei Kreditentscheidungen ein umfassendes internes Bewertungssystem für nachhaltige und transformative Finanzierungen. Die E-Kriterien – etwa Energieverbrauch und Emissionswerte – werden in der Bewertung doppelt gewichtet, während S- und G-Kriterien ergänzend einfließen. Zudem sind Klimastresstests und Szenarienanalysen Bestandteil der aufsichtsrechtlich geforderten Risikobewertung.
Keine Zinsvorteile – aber potenzielle Nachteile bei Verstößen
Auch wenn ESG-konforme Projekte derzeit kaum mit günstigeren Finanzierungskonditionen belohnt werden, sehen sich nicht nachhaltige Vorhaben zunehmend mit Malus-Regelungen konfrontiert. Bis zur Einführung von Kapitalerleichterungen auf EU-Ebene bleibt der finanzielle Vorteil ESG-konformer Immobilien jedoch begrenzt. Dennoch werden nicht erfüllte ESG-Kriterien im Rahmen der Finanzierungsstruktur mitunter negativ berücksichtigt.