Der Wissensvorsprung eines Projektanten ist auszugleichen!
Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 13.05.2024 – Verg 33/23 – folgendes entschieden:
1. Hat ein Bieter oder Bewerber den öffentlichen Auftraggeber vor der Einleitung des Vergabeverfahrens beraten oder unterstützt, hat der Auftraggeber sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme dieses vorbefassten Bieters nicht verfälscht wird.
2. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, welche Maßnahmen er zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs ergreift und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten, ob bei einer Beteiligung des Projektanten der Grundsatz des fairen Wettbewerbs gewahrt wird.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im Verhandlungsverfahren mit Teilnahme-wettbewerb einen Auftrag über „Baustellenlogistik - Neuordnung Baufeld Infrastruktur“ europaweit ausgeschrieben. Zuschlagskriterien waren der Preis (60%) sowie die Qualität (40%). Letzteres Kriterium war in mehrere Unterkriterien unterteilt, u.a. „1.3 Durchdringung des Projektinhaltes/Nennung eigener Lösungsansätze“. Im Vorfeld der Ausschreibung hatte der AG einen Projektsteuerer mit der Vorbereitung der Ausschreibung beauftragt. Fa. B war für diesen Projektsteuerer fast 3 Jahre als Nachunternehmer tätig, speziell bei Erstellung des Baulogistikkonzepts (LPh 2 - 4), der Aufstellung der Ausführungsplanung (LPh 5) sowie der Aufstellung des LV (LPh 6). Mit Aufforderung zur Angebotsabgabe wurden den Bietern mit den Vergabeunterlagen alle Unterlagen der LPh 1- 6 zur Verfügung gestellt inklusive aller Planungsunterlagen und Leistungsbeschreibungen. Der AG führte darauf mit den Bietern Verhandlungsgespräche und teilte diesen nach Wertung mit, den Zuschlag an Bieter B erteilen zu wollen. Bieter A, der erst durch dieses Schreiben von der Beteiligung des B erfahren hatte, forderte darauf den Ausschluss von B, was der AG ablehnte. Die angerufene VK gab Bieter A Recht und forderte den AG auf, speziell das Unterkriterium 1.3 zu streichen. Dagegen wehrte sich der AG mit Beschwerde zum OLG.
Ebenso wie die VK gibt auch das OLG dem Bieter A Recht. Nach ständiger Rechtsprechung könne die Teilnahme eines Unternehmens am Vergabeverfahren, das den Auftraggeber bereits in dessen Vorfeld beraten oder unterstützt habe, grundsätzlich als Gefährdung eines ordnungsgemäßen Wettbewerbs angesehen werden, da ein solcher Projektant entweder bei der Abgabe seines Angebots aufgrund seines Informationsvorsprungs begünstigt sein könnte, oder er bei der Vorbereitung des Ausschreibungsverfahrens die Bedingungen für die Erteilung des Auftrags in einem für ihn günstigen Sinn beeinflussen könnte.
Trotz dieser Gefahren sei jedoch die Teilnahme vorbefasster Unternehmen an dem Vergabeverfahren grundsätzlich zulässig. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH wäre ein genereller Ausschluss unverhältnismäßig (EuGH, Urt. v. 03. 03. 2005 – 021/03 und 034/03). So sei ein Unternehmen, wenn es mit Forschungs-, Erprobungs-, Planungs- oder Entwicklungsarbeiten hinsichtlich eines öffentlichen Auftrags durch den Auftraggeber betraut gewesen sei, zur Einreichung eines Teilnahmeantrages beziehungsweise eines Angebots nur dann nicht zuzulassen, wenn es ihm nicht gelinge, zu beweisen, dass nach den Umständen des Einzelfalles die von ihm erworbene Erfahrung den Wettbewerb nicht habe verfälschen können. Dem Auftraggeber obliege dabei die Verpflichtung, den Wissensvorsprung des einen Bieters durch Information aller anderen Bieter auszugleichen. Er habe sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme eines vorbefassten Bieters nicht verfälscht werde. Dabei liege es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, welche Maßnahmen er zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs ergreife und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten, ob bei einer Beteiligung des Projektanten der Grundsatz des fairen Wettbewerbs gewahrt werde.
Bieter B habe hier den AG vor der Einleitung des Vergabeverfahrens mittelbar beraten und sonst unterstützt. Er sei Unterauftragnehmer des Unternehmens gewesen, das vom AG als Projektsteuerer mit der Vorbereitung des Vergabeverfahrens beauftragt worden sei. In dieser Funktion habe B wesentliche Teile der Vergabeunterlagen bearbeitet, so u.a. den Generalablaufplan, das Leistungsverzeichnis und diverse Planungsunterlagen. Der AG habe dann zwar die Informations- und Wissensvorsprünge ausgeglichen, die sich aus den Unterlagen ergeben hätten, die dem Projektanten und damit auch B zur Vorbereitung der Vergabeunterlagen in Bezug auf die LPh 2 - 6 zur Verfügung gestellt worden seien. Alle Bieter hätten diese Unterlagen zusammen mit den Vergabeunterlagen erhalten.
Ungeachtet dessen genügten die vom AG ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen aber nicht, um den durch die Vorbefassung erlangten Informations- und Wissensvorsprung auszugleichen. Ursächlich hierfür sei das Wertungskriterium 1.3 (Durchdringung des Projektinhalts und Nennung eigener Lösungsansätze). Da der öffentliche Auftraggeber dafür Sorge zu tragen habe, dass dem Projektanten im Vergleich zu seinen Wettbewerbern kein überlegenes Angebot ermöglich werde, habe er Eignungs- und Zuschlagskriterien erforderlichenfalls so neutral zu fassen, dass aus einem etwaigen Wissensvorsprung des Projektanten keine Wertungsvorteile entstünden. Das Wertungskriterium 1.3 weise diese Neutralität aber nicht auf. Es ermögliche vielmehr, dass das Angebot des B in diesem Punkt besser bewertet werde als das der anderen Bieter. B habe hier aufgrund seiner dreijährigen Beschäftigung mit diesem Projekt als Nachunternehmer des vom AG beauftragten Projektsteuerers im Vorfeld der Ausschreibung die an ihn gestellten Anforderungen in dem Unterkriterium 1.3 besser beurteilen und sein Angebot leichter an die Bedürfnisse des AG anpassen können als andere, vorher unbeteiligte Bieter.
Soweit die VK erkannt habe, dass vorliegend - als milderes Mittel im Verhältnis zu dem seitens des A mit dem Nachprüfungsantrag beantragten Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB, § 6 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A - eine neue Präsentationsrunde unter geänderten Bewertungskriterien zur Qualitätsbewertung (Streichung des Unterkriteriums 1.3) durchzuführen sei, sei dies nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Denn weder der hierdurch beschwerte AG noch A hätten sich gegen diese Entscheidung gewandt.
Anmerkung:
Die Lösung der sog. „Projektantenproblematik“, d.h. konkret der ordnungsgemäße Ausgleich von Wettbewerbsvorteilen eines Projektanten gehört sicher mit zu den schwierigsten Aufgaben für einen Auftraggeber. Allein sämtliche Unterlagen allen Bietern zur Verfügung zu stellen, reicht eben dann nicht aus, wenn – wie hier – ein Zuschlagskriterium dem Projektanten klare Vorteile verschafft. In diesem Falle hat der AG dann die Kriterien „neutral“ zu formulieren, um für alle Bietern wieder die gesetzlich geforderte Chancengleichheit sicherzustellen.