Verhandlungsverfahren: Indikatives Angebot muss Mindestanforderungen einhalten!
Die Vergabekammer (VK) Mecklenburg-Vorpommern hat mit Beschluss vom 25.02.2025 - 3 VK 14/24 - Folgendes entschieden:
1. Ein indikatives Angebot kann je nach Ausschreibungsmodus verbindliche und unverbindliche Angaben enthalten. Soweit der Auftraggeber allerdings zwingende Anforderungen an die Angebote aufstellt, sind diese Anforderungen - dies gilt auch für indikative Angebote - zwingend zu beachten.
2. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage, ob ein Angebot von den Vergabeunterlagen abweicht, ist die Fassung des Angebots bei Ablauf der Abgabefrist. Bei Verhandlungsverfahren gilt dies wegen der Möglichkeit regelmäßig erst für das letztverbindliche Angebot, es sei denn, es handelt sich um zwingende Mindestanforderungen, die bereits im indikativen Angebot zu beachten sind.
3. Aus dem Umstand, dass der Inhalt der Angebote im Verhandlungsverfahren verhandelbar ist, folgt nicht, dass der Angebotsinhalt erst im Rahmen der Verhandlungen vom Bieter festgelegt werden kann.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb die Beschaffung von sechs "Streifenbooten See" europaweit ausgeschrieben. Der AG hatte bereits für die Erstangebote Mindestanforderungen (Ausschlusskriterien) aufgestellt, deren Erfüllung durch Ankreuzen bieterseits zu bestätigen war. Zugleich sollten die Bieter weitere Unterlagen, u.a. einen (unverbindlichen) "Generalplan" sowie ein Konzept, einreichen. Bieter A hatte in seinem Angebot zu zwei Anforderungen, der Dimension des Frischwassertanks und der Anordnung des Fahrerstands, das bestätigende Kreuzchen gesetzt. In seinem "Generalplan" hatte er aber von den Vorgaben abweichende Darstellungen abgegeben. In der nachfolgenden Aufklärung des Angebots durch den AG hatte es keine klare Antwort zur Erläuterung der Widersprüche gegeben. Insbesondere war von A nicht explizit zugesagt worden, den Generalplan an die Inhalte der Mindestanforderungen anzupassen. Daraufhin schloss der AG bereits das (indikative) Erstangebot des A wegen Widersprüchlichkeit aus. Nach erfolgloser Rüge stellte A Nachprüfungsantrag.
Die VK gibt Bieter A Recht; das Angebot hätte nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen werden dürfen.
Der öffentliche Auftraggeber könne Aufträge im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb oder im wettbewerblichen Dialog vergeben, wenn die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers nicht ohne die Anpassung bereits verfügbarer Lösungen erfüllt werden könnten (§14 Abs. 3 Nr. 1 VgV). Der AG habe diese Verfahrensart gewählt. Dabei sei zum Erstangebot ein Mindeststandard zu erklären gewesen, was zulässig sei. Ein indikatives Angebot könne je nach Ausschreibungsmodus verbindliche und unverbindliche Angaben enthalten. Soweit der Auftraggeber allerdings zwingende Anforderungen an die Angebote aufstelle, seien diese Anforderungen - dies gelte auch für indikative Angebote (OLG Düsseldorf, B. v. 29.06.2017 - Verg 7/17) - zwingend zu beachten.
Voraussetzung hierfür sei, dass die Mindestanforderungen - wie für alle Bereiche der Vergabeunterlagen erforderlich - eindeutig und unmissverständlich aufgestellt worden seien.
Dies sei hier der Fall gewesen. Der AG habe in seinen Bewerbungsbedingungen einen Mindeststandard festgelegt, den A auch erfüllt habe. A habe in seinem Erstangebot angeboten, was zwingend erforderlich gewesen sei. In den Bewerbungsbedingungen heiße es: "Die in der Leistungsbeschreibung festgelegten Mindestanforderungen (Ausschlusskriterien) und die im Leistungsverzeichnis aufgeführten Zuschlagskriterien sind nicht verhandelbar." Dort heiße es weiter: "Der Auftraggeber behält sich vor, den Zuschlag auf Basis der Erstangebote zu erteilen."
Ob das Angebot eines Bieters von den Vergabeunterlagen abweiche und diese damit »ändere«, sei durch Auslegung des Angebots gemäß §§ 133, 157 BGB einschließlich sämtlicher Anlagen und Erläuterungen, etwaigen Datenblättern oder Konzepten etc. zu beurteilen. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt sei die Fassung des Angebots bei Ablauf der Abgabefrist, da das Angebot bis zu diesem Termin noch zurückgezogen werden könne und der Bieter somit erst ab diesem Zeitpunkt gemäß § 145 BGB an sein Angebot gebunden sei. Bei Verhandlungsverfahren gelte dies wegen der Möglichkeit, den Angebotsinhalt in den nächsten Verhandlungsrunden noch zu verändern (§ 119 Abs. 5 GWB), regelmäßig erst für das letztverbindliche sog. »final offer«, es sei denn, es handele sich - wie hier - um zwingende Mindestanforderungen, die bereits im indikativen Angebot zu beachten seien.
Nach der Legende zur vorliegenden Leistungsbeschreibung bedeute hier "A" = Ausschlusskriterium. "E" bedeute Entscheidungsantwort und werde wie folgt erläutert: "Die Antwort muss entweder "Ja" oder "Nein" lauten. Mit einen "Ja" bestätige der Bieter, dass die Anforderung erfüllt werde." Aus dem Umstand, dass der Inhalt der Angebote im Verhandlungsverfahren verhandelbar sei, folge nicht, dass der Angebotsinhalt erst im Rahmen der Verhandlungen vom Bieter festgelegt werden könne.
Nach Auffassung der Vergabekammer habe hier Bieter A die Erfüllung (Frischwassertank und Fahrerstand) durch sein Kreuzchen bei den entsprechenden Ausschlusskriterien einwandfrei bestätigt. Irritationen seien durch die von den Mindestanforderungen abweichenden Darstellungen im "Generalplan" entstanden, diese seien jedoch nicht verbindlich. Der Generalplan sei im Zuge der Verhandlungen noch veränderbar. Die unklaren Aussagen im Aufklärungsgespräch seien unerheblich, da für die Auslegung des Angebots dessen Erklärungsgehalt im Zeitpunkt der Angebotsabgabe maßgeblich sei. Aus diesen Gründen sei der Angebotsausschluss durch den AG rechtswidrig.
Anmerkung:
Wie die Entscheidung zeigt, ist die weitverbreitete Ansicht, im Verhandlungsverfahren könne quasi „über alles verhandelt“ werden, ein absoluter Trugschluss. Wenn der Auftraggeber – wie im vorliegenden Fall – von vornherein Mindestanforderungen festlegt, darf über diese auch nicht verhandelt werden (§ 17 Abs. 10, Satz 2 VgV). Angebote - bzw. wie hier auch Erstangebote -, die diese Kriterien nicht einhalten, sind daher zwingend auszuschließen und können nicht in die nächste Verhandlungsrunde gelangen. Gleiches gilt, wenn der Auftraggeber von vornherein Zuschlagskriterien festlegt.