Zuschlagskriterien: Anpassung ja – Änderung nein!

Zuschlagskriterien: Anpassung ja – Änderung nein!

Zuschlagskriterien: Anpassung ja – Änderung nein!

  • Vergaberecht & Baurecht
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Die Vergabekammer (VK) Niedersachsen hat mit - erst jetzt veröffentlichtem - Beschluss vom 02.10.2024 – VgK-21/2024 – folgendes entschieden:
1. Mit der Aufforderung zur indikativen Angebotsabgabe dürfen bereits bekannt gemachte Zuschlagskriterien im Verhandlungsverfahren nur in einem sehr geringen Maße im Stadium der Aufforderung zur finalen Angebotsabgabe angepasst werden. Lediglich Konkretisierungen bereits bekannter Zuschlagskriterien und Unterkriterien sind zulässig.
2. Das Einführen neuer Unterkriterien anlässlich von Verhandlungsvorschlägen eines Bieters verstößt gegen das Verhandlungsverbot.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Bereitstellung eines SIP-Trunks, einer Einrichtung zur ausfallsicheren Telefonieverbindung über das Internet im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Nach Durchführung der Verhandlungen wurde den Bietern mit der Aufforderung zur Abgabe des finalen Angebotes ein überarbeitetes Preisblatt zur Verfügung gestellt. Darin hieß es: "Sofern es sich beim Bieter um den Bestandsbieter handelt, muss er (...) die derzeit aktuellen Kosten (...) angeben. Es wird dann automatisch ein Vorteil durch eine kaufmännische Migration vom Angebotspreis abgezogen". Darauf rügte Bieter B u.a., dass der Bestandsbieter A in Bezug auf die Bewertung des Preises einen nachträglichen Vorteil gegenüber den anderen Wettbewerbern erhalte; dies stelle eine unzulässige Änderung der Zuschlagskriterien im Nachgang zur Verhandlungsrunde dar. Da der AG der Rüge nicht abhalf, beantragte B die Nachprüfung durch die VK.
Die VK gibt Bieter B Recht, da er in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt sei.        In einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb enthalte die Aufforderung zur Angebotsabgabe mindestens die Zuschlagskriterien sowie deren Gewichtung oder gegebenenfalls die Kriterien in der Rangfolge ihrer Bedeutung, wenn diese Angaben nicht bereits in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung enthalten seien (§ 52 Abs. 2 Nr. 5 VgV). Diese Vorschrift sei eine zentrale Ausprägung des Gleichbehandlungs- und Transparenzgebots. Nur durch die Angabe der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung sei der Auftraggeber in der Lage, die Angebote willkürfrei zu werten. Die Bieter müssten in die Lage versetzt werden, bei der Vorbereitung ihrer Angebote vom Bestehen und von der Tragweite dieser Kriterien Kenntnis zu nehmen.
Gemäß § 17 Abs. 10 Satz 2 VgV dürfe über den gesamten Angebotsinhalt verhandelt werden mit Ausnahme der vom öffentlichen Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien. Denn die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung sollten während des gesamten Verfahrens stabil bleiben und nicht verhandelbar sein, um die Gleichbehandlung aller Wirtschaftsteilnehmer zu gewährleisten.

Zu beachten sei in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Auftraggeber, sei es zur Korrektur von Vergaberechtsverstößen oder aus Gründen der Zweckmäßigkeit, die Vergabeunterlagen im laufenden Vergabeverfahren ändern dürfe, sofern dies in einem transparenten Verfahren und diskriminierungsfrei geschehe; diese Änderungsbefugnis beziehe sich auf alle Bestandteile der Vergabeunterlagen (Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien, Unterkriterien, Gewichtungen etc.). Zumindest die Korrektur von Zuschlagskriterien, bei denen der öffentliche Auftraggeber nachträglich erkenne, dass sie rechtswidrig oder unpraktikabel seien (weil sie z.B. keine Differenzierung ermöglichten oder unverhältnismäßigen Aufwand bei der Dokumentation erfordern würden), müsste - sofern sie transparent erfolge - möglich sein, ohne das Verfahren vollständig aufzuheben und von neuem zu beginnen.
Im vorliegenden Fall stünden allerdings die Anpassungen des Preisblattes durch den AG nach Öffnung der indikativen Wertung in Kenntnis der vorläufigen Bieterrangfolge sowie nach Durchführung der Verhandlungsgespräche nicht im Einklang mit § 17 Abs. 10 Satz 2 VgV.
Zwar bestehe kein generelles Änderungsverbot. Konkretisierungen eines bereits festgelegten Zuschlagskriteriums oder Unterkriteriums seien in einem gewissen Maße zulässig. Eine bloße Konkretisierung eines Kriteriums liege vor, wenn ein bereits festgelegtes Zuschlagskriterium oder Unterkriterium näher bestimmt bzw. ausgestaltet werde. Das Zuschlagskriterium an sich bleibe also unverändert und werde lediglich spezifiziert. Einem Verhandlungsverfahren sei immanent, dass als Ausfluss der Verhandlungsgespräche beispielsweise Anforderungen an die Leistung detaillierter gefasst werden müssten, so dass in der Folge auch eine Anpassung eines Unterkriteriums zur Bewertung der Leistung oder einer Preisposition im Preisblatt erforderlich sei. Die konkretisierten bzw. näher ausgestalteten Kriterien müssten jedoch die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung gewährleisten sowie weiterhin einen wirksamen Wettbewerb sicherstellen können. Auch müsse der öffentliche Auftraggeber unter den vorgenannten Voraussetzungen Änderungen von rechtswidrigen oder solchen Zuschlagskriterien, die kein Bieter erfüllen könne, vornehmen können. 
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Maßstäbe einer zulässigen Konkretisierung von Zuschlagskriterien bzw. Unterkriterien im Verhandlungsverfahren nach ihrer Bekanntgabe handele es sich bei der vorgenommenen Änderung des Preisblattes aber nicht um eine bloße Konkretisierung eines bereits bestehenden Kriteriums, sondern vielmehr um eine Einführung eines neuen Unterkriteriums des Zuschlagskriteriums "Preis" als Ausfluss des Verhandlungsgespräches mit dem Bieter A. Der AG habe vielmehr – zugunsten von A - für das verbindliche Angebot zwei deutlich unterschiedliche Leistungsumfänge abgefragt.
Der AG habe daher gegen § 17 Abs. 10 Satz 2 VgV sowie den Transparenz- und den Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 und 2 GWB verstoßen, indem er nach Öffnung und Wertung der indikativen Angebote in Kenntnis der vorläufigen Bieterrangfolge für das Zuschlagskriterium "Preis" im Preisblatt für den Bestandsbieter A die Abfrage eines kaufmännischen Migrationsvorteils, der von den Gesamtkosten abgezogen werden sollte, ermöglicht habe und damit Einfluss auf die voraussichtliche Zuschlagsentscheidung nehmen könnte.

Anmerkung:
Erfahrungsgemäß herrscht bei vielen Vergabepraktikern die irrige Vorstellung vor, im Verhandlungsverfahren sei fast alles möglich, quasi unter dem Stichwort“ anything goes“.  Wie die Entscheidung zeigt, umfasst die Möglichkeit, mit den Bietern evtl. in mehreren Runden zu sprechen bzw. zu verhandeln, keinesfalls die Chance, die in der Ausschreibung definierten Zuschlagskriterien bzw. Unterkriterien abändern zu können. Lediglich unter den von der VK aufgezeigten absoluten Ausnahmefällen dürfte es möglich sein, diese Kriterien  anzupassen bzw. zu korrigieren.