Nachlass unter Bedingung: Änderung der Vergabeunterlagen!
Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 30.08.2024 – VK 1-72/24 – folgendes entschieden:
1. Angebote, die Änderungen der Vergabeunterlagen beinhalten, sind auszuschließen. Das gilt auch im Verhandlungsverfahren, wenn sich der Auftraggeber die Zuschlagserteilung ohne weitere Verhandlungen vorbehält.
2. Eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen liegt vor, wenn der Bieter den unbedingt anzubietenden Nachlass unter verschiedene Bedingungen stellt (hier: HOAI-konforme Ermittlung verschiedener Honorarparameter, obwohl der Vertrag von der HOAI abweichende Regelungen enthält).
3. Eine Aufklärung des von den Vergabeunterlagen abweichenden Angebots ist unzulässig, wenn sich der Auftraggeber die Zuschlagserteilung ohne weitere Verhandlungen vorbehalten hat und das Hinwegdenken der Abweichungen zu einer Änderung des Angebots führen würde.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Leistungen der Tragwerksplanung im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Teil der Vergabeunterlagen war ein Vertragsentwurf, der detaillierte Regelungen zum Honorar enthielt; danach sollten die Leistungen in Anlehnung an die HOAI vergütet werden. Änderungen gegenüber der HOAI waren z.B. bei den anrechenbaren Kosten vorgesehen. Die Bieter wurden vom AG aufgefordert, einen Nachlass zum Basishonorar anzubieten. Bieter A wollte zwar einen Nachlass gewähren, stellte diesen allerdings unter Bedingungen. So müsste die Objekteinteilung HOAI-konform sein; außerdem setzte er voraus, dass die mitzuverarbeitende Bausubstanz angemessen berücksichtigt werde und die Bestandskonstruktion vollständig statisch dokumentiert sei. Der AG schloss darauf das Angebot des A wegen Änderung der Vergabeunterlagen aus. A rügte dies – es handele sich lediglich um missverständliche Formulierungen, die der AG in einem Verhandlungsverfahren aufklären müsse. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte A Nachprüfung.
Die VK Bund gibt dem AG Recht; der Ausschluss wegen unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen sei nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung sei ein Angebot, das nicht die Vorgaben der Vergabeunterlagen erfülle bzw. unvollständig sei, nicht mit den anderen Angeboten im Wettbewerb vergleichbar. Dies gelte auch im Verhandlungsverfahren des AG, denn dieser habe sich hier (in der Aufforderung zur Angebotsabgabe) die Zuschlagserteilung ohne weitere Verhandlungen vorbehalten. Er habe hier unstreitig keine Verhandlungen mit anderen Bietern geführt, sondern die Prüfung und Wertung auf der Grundlage der eingegangenen Angebote unmittelbar vorgenommen.
A habe mit seiner Begründung der angebotenen Honorarreduzierung eine von den vertraglichen Vorgaben abweichende Reduzierung der Vergütung angeboten. Vorgesehen sei nach den Vergabeunterlagen (VGU) die Angabe der Honorarreduzierung einschließlich einer objektbezogenen Begründung mittels einer detaillierten Erläuterung unter Angabe der technischen Gründe. A habe aber - anders als andere Bieter - keine technischen Gründe für seine Honorarminderung angegeben. Vielmehr habe er verschiedene Annahmen und Voraussetzungen formuliert; diese stellten sich aber als Abweichung bzw. Änderung der Vorgaben der vertraglichen Vergütungsregelung dar.
So beziehe sich die den VGU beigefügte Anlage 3 hier eindeutig auf die "Ermittlung der anrechenbaren Kosten". Die Objekteinteilung sei somit abschließend erfolgt. Damit seien die Grundlagen des Honorars entsprechend § 6 Abs. 1 HOAI bestimmt und von allen Bewerbern der Kalkulation verbindlich zugrunde zu legen. Entsprechend verweise § 7 des Vertrags für die Ermittlung der Vergütung zwar ausdrücklich auch auf die geltende HOAI, dies aber nach Maßgabe der in dem Vertrag getroffenen Vereinbarungen zur Vergütung der beauftragten Leistungen. Damit seien die vertraglichen Vereinbarungen für die Honorarberechnung einschließlich einer eventuellen Reduzierung des Honorars vom AG eindeutig vorgegeben.
Zusätzlich setze A für die Gewährung des von ihm angebotenen Nachlasses voraus, dass die mitzuverarbeitende Bausubstanz in den anrechenbaren Kosten angemessen berücksichtigt werde und die Bestandskonstruktion vollständig statisch dokumentiert sei. Nach § 4 Abs. 3 HOAI sei der Umfang der mitzuverarbeitenden Bausubstanz bei den anrechenbaren Kosten angemessen zu berücksichtigen und zum Zeitpunkt der Kostenberechnung objektbezogen zu ermitteln und in Textform zu vereinbaren. Die anrechenbaren Kosten seien hier vorliegend vollständig ermittelt worden und lägen mit der nach § 6 Abs. 1 HOAI maßgeblichen Kostenberechnung in Anlage 3 bereits vor. Damit sei die zusätzlich formulierte Voraussetzung einer vollständigen statischen Dokumentation der Bestandskonstruktion für die Einräumung des Nachlasses als eine Abweichung von den vertraglichen Vorgaben anzusehen. Der AG trage insoweit vor, dass er bei einem historischen Bauwerk wie hier, das aus mehreren Gebäudeteilen bestehe, keine vollständige statische Dokumentation der Bestandskonstruktion übergeben könne. Aus den VGU ergebe sich auch nicht, dass es solche Bestandspläne und statischen Unterlagen überhaupt gebe. Daher sei ein Nachlass unter einer solchen Bedingung - eine vollständige statische Dokumentation der Bestandskonstruktion werde vorausgesetzt – seitens des AG nicht erfüllbar und von ihm ausweislich der VGU auch nicht gewollt. Vom AG werde damit für die Einräumung der Honorarreduzierung eine zusätzliche Bedingung im Vergabeverfahren, nämlich die Gewährleistung einer vollständigen statischen Dokumentation, von A gefordert.
Auch habe der AG - entgegen der Auffassung des A - keine Aufklärung eines "Missverständnisses" entsprechend § 15 Abs. 5 VgV vornehmen dürfen. Eine Aufklärung im Sinne eines Weglassens der problematischen Erläuterungen würde zu einer Änderung des Angebots führen und wäre damit entsprechend § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV unzulässig. Der AG habe hier festgelegt, dass er den Zuschlag ohne weitere Verhandlungen erteilen könne, und vorliegend auch keine Verhandlungen geführt, sondern sei zulässigerweise direkt in die Wertung eingetreten.
Anmerkung:
Wie die Entscheidung zeigt, ist auch im Verhandlungsverfahren der Grat zwischen einer – auch seitens der Bieter gegenüber dem AG zulässigerweise anzuregenden Verhandlung – und einer unzulässigen Änderung der Vergabeunterlagen relativ schmal. Bietern ist daher zu raten, besser ein Angebot abzugeben, das den Vorgaben der VGU voll entspricht und somit zuschlagsfähig ist. Beabsichtigt dagegen der Bieter Änderungen an den Vorgaben des AG oder meldet er von seiner Seite Verhandlungsbedarf an, sollte er dies besser z.B. in einem Begleitschreiben an den AG adressieren.