System Erfurt – nachhaltig und fair.

System Erfurt – nachhaltig und fair.

System Erfurt – nachhaltig und fair.

  • Redaktion
  • 5 Min

Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.

Strategischer Einkauf als Erfolgsmodell

In puncto Vergabe lohnt sich ein genauerer Blick auf die thüringische
Landeshauptstadt Erfurt. Während viele Kommunen an der Durchführung rechtssicherer E-Vergabeverfahren scheitern, wird in Erfurt schon seit 2011 erfolgreich ein strategischer Einkauf umgesetzt, der auch Nachhaltigkeit und soziale Fairness berücksichtigt.

Erfurt als Vorbild für digitale Beschaffung

Erfurt mag dem einen oder anderen als die Stadt bekannt sein, in der im frühen 16. Jahrhundert Martin Luther studierte. Heute können Vergabeinteressierte lernen, wie man den Wunsch nach effizienter und kostengünstiger Beschaffung in die Tat umsetzen kann. Hier decken Stadtverwaltung, Schulen und Eigenbetriebe seit mehr als zehn Jahren ihren Bedarf digital und webbasiert auf einer Bestellplattform. 2018 versorgten sich rund 200 registrierte Nutzer mit Waren – von Arbeitskleidung bis Tee – im Wert von 600.000 Euro. Damit schreibt Erfurt eine echte Erfolgsstory.

Rahmenverträge als Schlüssel zum Erfolg

„Tatsächlich sind die Beschaffungswege kürzer und der Einkaufsprozess insgesamt schlanker geworden“, so Denise Böttcher, Abteilungsleiterin Verwaltung/ Zentraler Einkauf der Stadt. Die diplomierte Wirtschaftswissenschaftlerin hat das Projekt maßgeblich mit geplant und aufgebaut und kennt die Pluspunkte: „Die Vorteile gegenüber dem operativen Einkauf einzelner Organisationseinheiten reichen von der Mengenbündelung bis zur Prozessoptimierung.“ Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg sind dabei Rahmenverträge mit festen Laufzeiten und Preisbindung.

Effizientes Online-Shopping

47 Millionen Menschen haben in Deutschland im Jahr 2015 privat online eingekauft. Im Zeitalter von Vernetzung, Amazon und Zalando ist das heutzutage kein Problem mehr. Ein E-Procurement- Tool für öffentliche Beschaffer aufzubauen ist dagegen ungleich schwieriger. Viele Aspekte sind zu berücksichtigen, bevor eine Online-Plattform funktioniert: Bedarfe müssen ermittelt und gebündelt, Anbieter gefunden und Rahmenverträge ausgearbeitet werden. Und das Angebotene sollte umweltschonend produziert, transportiert und nutzbar sein. Nicht alles darf also ins Sortiment. Das erfordert eine sorgfältige Markterkundung. Mit ihrer E-Procurement-Lösung nimmt die Stadt Erfurt den Bedarfsträgern diese Sorgen – und viel Arbeit – ab. Einer Studie zufolge sind im herkömmlichen Einkaufssystem öffentlicher Einrichtungen 15 Schritte erforderlich, um eine Bestellung abzuwickeln, der Zeitbedarf wird auf 160 Minuten geschätzt. In Erfurt dauert eine Bestellung laut Denise Böttcher zehn bis 15 Minuten.

Die Maus macht‘s

Die gut 3.000 Mitarbeiter der öffentlichen Hand finden in 12 Katalogen online ein reiches Sortiment mit rund 2.500 gelisteten Artikeln aus unterschiedlichsten Produktgruppen: Büromöbel, Tinte und Toner, Hygiene- und Reinigungsbedarf, Arbeitskleidung sowie Nahrungsmittel für die Kinder in den Tagesstätten. Das Einkaufen gestaltet sich so einfach, wie man es auch zu Hause von einem guten Online-Shop erwartet. Einfach das prall gefüllte Sortiment nach den benötigten Artikeln durchstöbern, anklicken und per Maus in den Warenkorb befördern. Für alles, das immer wieder eingekauft wird – der so genannte wiederkehrende Bedarf – stehen definierte Warenkörbe bereit.

Selbstverständlich findet der Suchende für alles und jedes ausführliche Produktbeschreibungen online.

Und zu guter Letzt wird die Ware dem Kunden an den Schreibtisch geliefert.

Beschaffer werden deutlich entlastet

Leistungsbeschreibungen fehlerfrei und eindeutig zu verfassen ist nicht jedermanns
Sache. Gerade wenn man Aspekte der Nachhaltigkeit und Soziales berücksichtigen
will, bedarf es einer Expertise, die der normale Beschaffer sich schon wegen der knappen Zeit bei latentem Personalmangel kaum aneignen kann. Wer die webbasierte Bestellplattform in Erfurt nutzt, für den wurden sowohl der Markt als auch die Produkte eingehend studiert. Sicherheitsdaten- und Produktblätter sowie Nutzungshinweise sind online abrufbar. Produkte mit entsprechenden Nachweisen sind mit „U“ und „S“ für Umwelt bzw. Soziales gekennzeichnet. Einfacher geht Beschaffung nicht. Frau Böttcher nennt dazu noch einen weiteren wichtigen Aspekt: „Solche Systeme mit E-Katalog sind ein unverzichtbarer Einstieg in die e-Vergabe“, und genau hier bekommt Deutschland im EU-Vergleich kaum Dampf auf die Kessel.

Medienbruchfreies System für durchgängige Prozesse

Findet sich das Benötigte nicht im Sortiment, kann über das System eine Anfrage gestellt werden. Gibt es von oberer Instanz das Okay, werden die Artikel ausgeschrieben, beschafft und in den Katalog aufgenommen. Auch ein Reklamationsmanagement darf nicht fehlen. „So wird sichergestellt, dass wir schnell und medienbruchfrei reagieren können“, so Frau Böttcher. Vieles erinnert an das Kaufhaus des Bundes. Allerdings standen bei dessen Aufbau mehr Manpower und logistische Ressourcen zur Verfügung. Dass der elektronische Einkauf auch auf städtischer Ebene nicht nur möglich ist, sondern auch ankommt, zeigt der jährlich steigende Umsatz, der sich seit 2011 mehr als versiebenfacht hat. Fast nebenbei bedient das elektronische Einkaufsportal noch einen weiteren Bedarf: Strategischer Einkauf will geplant und strukturiert sein. Was wird wann in welchen Mengen eingekauft? Diese Daten stehen durch das System jederzeit abrufbar zur Verfügung und ermöglichen so die zentrale Beschaffung durch Rahmenverträge.

Nachhaltige Beschaffung als gelebte Tradition

Schon 1992 begann die Stadtverwaltung, bei der Beschaffung von Büromaterial darauf zu achten, dass nachwachsende oder recycelte Rohstoffe bei der Herstellung zur Anwendung kamen. Seit 2012 deckt man 70 Prozent des Papierbedarfs durch Recyclingprodukte. Diese Tradition wurde mit Einführung des E-Procurements fortgeführt und vertieft. Denn dank Zentralisierung und Bündelung lassen sich diese Aspekte noch besser umsetzen. Daneben ist das Angebot solcher Produkte, dem Zeitgeist entsprechend, gewachsen.

Erfurt setzt auf faire und nachhaltige Beschaffung

So setzt man in Erfurt bei Druckerzubehör auf sogenannten Rebuilttoner aus wiederaufbereitetem Material, der das Umweltzeichen „Blauer Engel RAL UZ 55“ trägt. Entsprechendes, so Böttcher, gelte für Hygiene- und Reinigungsprodukte. Bei Produkten wie etwa Arbeitskleidung spielen vor allem die Herkunft und Bedingungen bei der Herstellung eine wichtige Rolle. Hier garantiert das „System Erfurt“ eine überprüfbare und kontrollierte Verarbeitungskette, wie Frau Böttcher zusichert: „letztes Jahr ist es uns gelungen, auch die Arbeitskleidung und – als neue Produktgruppe – den Wetterschutz nachhaltig und sozial fair auszuschreiben und zu vergeben.“ Auch Lebensmittel, von Brötchen bis Tee, werden über die Plattform eingekauft. Bezug aus der Region – vom Tee einmal abgesehen – sichert fairen Einkauf mit günstiger CO2-Bilanz. „Im Bereich der Lebensmittel wollen wir zukünftig auch mehr nachhaltige, faire und regionale Produkte einkaufen“, so die Erfurter Ökonomin. „Bei Brot, Brötchen und Kuchen ist das schon gelungen. Der Weg und die Zutaten entlang der Verarbeitungskette sind bekannt.“ Dass in der Landeshauptstadt bei allen Protokollveranstaltungen nur fair gehandelter Kaffee ausgeschenkt wird, versteht sich für die Stadtverwaltung von selbst. Die Akzeptanz auf Seiten der Kunden könnte hinsichtlich Nachhaltigkeit und fair gehandelten Produkten gerne noch größer sein. „Wir müssen hier noch mühevolle Überzeugungsarbeit leisten“, räumt Denise Böttcher ein. Was die Stadt nicht davon abhält, weiter mit gutem Beispiel voranzugehen. Und immerhin: Seit 2014 trägt Erfurt den Titel „Fairtrade Town“, verliehen vom Kölner Verein „Transfair e. V.“.

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