START-UP(P)S

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  • Redaktion
  • 10 Min

Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.

Junge Unternehmen und ihre Schwierigkeiten bei der Auftragsvergabe.

Start-ups sind oftmals schneller und wendiger als so manch großer „Unternehmenstanker“. Bei öffentlichen Vergabeverfahren ziehen junge Unternehmen aber meistens den Kürzeren, weil sie in der Eignung schlechter abschneiden. Die Möglichkeiten der Vergaberechtsreform, die den Zugang verbessern könnten, werden zudem noch wenig genutzt. Denn in der Theorie können sich junge Firmen, sogenannte Start-ups, wie alle anderen Unternehmen auch an öffentlichen Vergabeverfahren beteiligen. In der Praxis allerdings tun sie es oft nicht, weniger noch kommen sie zum Zuge. Genaue Zahlen, wie oft Start-ups einen Auftrag von Bundesministerien oder -behörden tatsächlich ergattern können, gibt es allerdings nicht, wie die Bundesregierung jetzt in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag mitteilt. Die Regierung kommt bei diesem Thema ohne Phrasen nicht aus – ein Zeichen dafür, dass sich das Wirtschaftsministerium bislang um dieses Thema kaum oder gar nicht gekümmert hat. An einer Stelle heißt es fast schon lapidar: „Die Möglichkeiten öffentlicher Stellen, Startups in ihre Vergabepraxis einzubeziehen und ihnen öffentliche Aufträge zu erteilen, sind aus Sicht der Bundesregierung gut.“ Das Ministerium verweist darauf, dass im Zuge der Vergaberechtsreform des Jahres 2016 einige Regelungen und Instrumente eingeführt worden seien, die eventuell bestehende Nachteile ausgleichen könnten. So sei die losweise Ausschreiung vorgeschrieben, außerdem dürften keine überzogenen Eignungskriterien verlangt werden. Und: Ein nachzuweisender Mindestjahresumsatz darf das Zweifache des geschätzten Auftragswertes nicht übersteigen. Die Einführung der verpflichtenden elektronischen Vergabe wertet das Amt ebenso als deutliche Erleichterung für Start-ups. Dies sind jedoch bei genauerem Hinsehen reichlich hilflose Verweise auf Regeln, die vor allem gestandenen Mittelständlern, klassischerweise kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), zu mehr öffentlichen Aufträgen verhelfen sollen, beispielsweise die Aufteilung eines Auftrags in Lose. Für ein junges Start-up- Unternehmen dürfte in vielen Fällen selbst ein Einzellos immer noch keine geeignete Größenordnung sein.

Quadratur des Kreises

Wie können Start-ups ihr Standing bei Vergaben verbessern?

Innovationspartnerschaften kommen in der Praxis so gut wie gar nicht vor

Die Grünen fragen außerdem nach Anreizen, die gesetzt werden könnten, um Start-ups bei öffentlichen Vergabeverfahren bessere Chancen zu geben. Das lasse sich nicht generell beantworten, meint die Regierung dazu recht nüchtern, denn dies hänge von der zu beschaffenden Leistung und dem einzelnen Vergabeverfahren ab. Die sogenannten Innovationspartnerschaften hält sie für sehr geeignet, Start-ups mehr zum Zuge kommen zu lassen. In der Praxis kommen diese allerdings bislang so gut wie gar nicht vor. Es lohnt sich ein Blick nach Baden-Württemberg, also in ein Bundesland, das eine besonders hohe Dichte an Start-up-Unternehmen aufweist. Das CyberForum mit Sitz in Karlsruhe ist ein Zusammenschluss von rund 1200 Unternehmen aus der IT-Branche – darunter auch viele junge Unternehmen. „Junge, innovative IT-Start-ups mit weniger als fünf Mitarbeitern haben meist noch keinen bekannten Namen und vor allen Dingen wenig Referenzen“, weiß Michael Rausch, Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Vereins, der sich als der größte Zusammenschluss dieser Art in Europa bezeichnet. Sicherlich sei es auch so, dass sich Start-ups wenig um Ausschreibungen kümmerten, über kein entsprechendes Screening verfügten und es an Kenntnissen über die Abläufe von Vergabeverfahren fehle. Aus seiner Sicht sei der administrative Aufwand sehr hoch und mitunter schwer zu überblicken. Hilfreich fände Rausch unter anderem, wenn Ausschreibungen in Netzwerken und Kanälen veröffentlicht würden, wo sich Start-ups aufhielten.

Baden-Württemberg: Junge Unternehmen werden kaum berücksichtigt

Das Baden-Württembergische Wirtschaftsministerium kann wie die Bundesregierung keine Zahlen liefern, wie oft die eigenen Landesbehörden in der Vergangenheit den Zuschlag an ein Start-up-Unternehmen erteilt haben. Auch dort ist man der Ansicht, dass die Vergaberechtsreform einige Erleichterungen für junge Firmen gebracht habe, gerade mit Blick auf die Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit von Bietern. Zudem gebe es die Möglichkeit, funktionale Leistungsbeschreibungen einzusetzen, um die Möglichkeit zu eröffnen, innovative Produkte zu entwickeln. Eine entsprechende Verwaltungsvorschrift für die Landesbehörden und -ministerien wurde erlassen. Den Kommunen wurde eine Anwendung ebenfalls empfohlen. Letztendlich stehe es aber im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, in welchem Umfang er Start-up-Unternehmen als finanziell und wirtschaftlich geeignet betrachtet. Das Ministerium verschweigt allerdings, dass öffentliche Auftraggeber von diesem Ermessen bisher weitgehend keinen Gebrauch machen. Der Baden-Württembergische Industrie und Handelskammertag (BWIHK) sieht klare Defizite in der Berücksichtigung junger Firmen. BWIHK-Präsident Wolfgang Grenke stellt fest, dass einem geübten Unternehmen eine Teilnahme an Vergabeverfahren „mit Sicherheit leichter von der Hand“ gehe als einem Start-up, das sich neu in die Materie einarbeiten müsse. Start-ups seien in der Regel stark mit der Entwicklung ihres Produkts oder Dienstleistung und einem funktionierenden Geschäftsmodell beschäftigt. In einem Gründerteam gebe es normalerweise keine Expertise in Bezug auf Vergabeverfahren. Dementsprechend würden diese Geschäftspotenziale zu wenig von Start-ups wahrgenommen oder „sie lassen sich durch die Komplexität des Vergaberechts zu schnell abschrecken“. Grenke verweist auf eine Vielzahl von Hilfestellungen durch die IHK-Auftragsberatungsstellen in Deutschland und das „Amtliche Verzeichnis für präqualifizierte Unternehmen“, das sich seit der Einführung im Herbst 2017 wachsender Beliebtheit erfreue, da es Unternehmen erspart, ihre Qualifikation bei jeder Ausschreibung erneut nachweisen zu müssen. Gleichzeitig fordert er die Auftraggeber auf, die im Vergaberecht geschaffenen Gestaltungsspielräume anzuwenden. Kritik steht, wenn es um Beschaffung und Ausrüstung geht: die Bundeswehr. Mit dem Cyber Innovation Hub hat die Bundeswehr eine Schnittstelle zwischen der Start-up-Szene und dem Militär geschaffen. So sollen nützliche digitale Innovationen schneller Eingang in die Bundeswehr finden. Nach Ansicht des Bundesverbands könnten sämtliche öffentliche Akteure ein ähnliches Konzept erstellen.

Bitkom: Von Vergaben an junge Start-Ups profitieren auch die Verwaltungen

Über die positive Einschätzung der Bundesregierung bezüglich der Erfolgschancen von Start-ups ist man auch beim IT-Branchenverband Bitkom in Berlin überrascht. Dort kommt man zu einer diametral anderen Einschätzung.

„Die Chancen für Start-ups, sich erfolgreich an öffentlichen Vergabeverfahren zu beteiligen, sind leider nach wie vor zu schlecht“
, sagt Jenny Boldt, die sich bei Bitkom um diesen Bereich kümmert. Oftmals stelle bereits die Eignungsprüfung eine zu große Hürde dar. Der erhebliche administrative Aufwand sei gerade von jungen und kleinen Unternehmen kaum zu leisten. Schwierigkeiten machen aus Sicht von Bitkom auch die geforderten Referenzen, beispielsweise über mehrere erfolgreich durchgeführte Aufträge. Start-ups könnten diese oft nicht nachweisen. Von einer verstärkten Vergab an Start-ups würden Verwaltungen aber profitieren, glaubt Boldt mit Blick auf innovative Lösungen, die technologisch auf dem neuesten Stand seien. Leider würde in den Behörden die öffentliche Auftragsvergabe zu oft noch nicht als innovationspolitisches Instrument erkannt. Es fehle an klaren Zielvorgaben und Strategien für eine moderne Beschaffung sowie entsprechender Rückendeckung für die Verwaltungsmitarbeiter. In puncto Eignung und Wertung sollte nach Ansicht des Verbands nicht mehr eine „vollständige Risikoeliminierung“, sondern ein „angemessenes Risikomanagement“ angestrebt werden, bei der auch Innovation wertgeschätzt würde. Instrumente wie Losaufteilung, Nebenangebote oder Innovationspartnerschaft seien sinnvoll, fänden aber noch nicht ausreichend Berücksichtigung, um die strukturellen Nachteile von jungen Unternehmen vollständig auszugleichen, meint die Start-up-Expertin von Bitkom. „Wenn wir es ernst meinen mit dem Ziel, die Digitalisierung erfolgreich zu gestalten, dann müssen wir Start-ups auch die Chance geben, ihre Produkte hierzulande zu entwickeln und anzuwenden“, macht Boldt klar. Der Staat müsse dabei eine Vorreiterrolle einnehmen und verstärkt mit jungen, innovativen Unternehmen zusammenarbeiten.
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