Noch KMU oder schon groß?
Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Neue KMU-Definition: Chancen für den Mittelstand im Blick
Die meisten Firmen in Europa und insbesondere Deutschland gelten auf dem Paper als „Kleine und mittlere Unternehmen“ (KMU), also als Mittelstand. Wer als öffentliche Institution Aufträge vergibt, ist angehalten, dass auch und gerade diese Unternehmen dabei zum Zuge kommen. Jetzt soll die Definition, wer zu den KMU zählt, angepasst werden.
Die bisherige KMU-Definition
Kleine und mittlere Unternehmen beschäftigen weniger als 250 Personen, haben einen Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Millionen Euro. So die bisherige KMU-Definition aus dem Jahr 2003, die einer Empfehlung der Europäischen Kommission entspricht. Entscheidend bei der Frage, ob ein Unternehmen zu den KMU zählt, sind also vor allem die Mitarbeiterzahl und der Umsatz. Das soll im Prinzip auch so bleiben. Dennoch hält das Europäische Parlament (EP) eine Neujustierung für angezeigt und verabschiedete im Juli 2018 eine entsprechende Entschließung, um die Europäische Kommission dabei zu unterstützen.
Neue Definition für mehr Chancengleichheit?
In der EU zählen 99,8 Prozent aller Unternehmen zu den KMU. Das sind knapp 23 Millionen Unternehmen. Mit eingerechnet sind sogenannte Kleinstunternehmen. Die Interessenverbände diverser Branchen plädieren für eine Anhebung der Beschäftigtenzahlen. Dabei geht es allerdings vor allem darum, sich um Fördermittel der Europäischen Union (EU), die KMU vorbehalten sind, bewerben zu können. Aber auch im Vergaberecht, das öffentliche Ausschreibungen regelt, werden KMU besonders berücksichtigt. So sind Auftraggeber unter anderem verpflichtet, Aufträge in Lose aufzuteilen, wenn dies möglich ist. Damit soll es für mittelständische Firmen leichter werden, sich an Ausschreibungen zu beteiligen.
Konkrete Zahlen nennt das Europäische Parlament nicht
Wie angedeutet, stellt das Parlament in seiner Entschließung klar, dass weiterhin die Mitarbeiterzahl sowie Umsatz und Bilanz die entscheidenden Kriterien sein sollen. Allerding soll es bei der Frage, wie viel Umsatz ein Unternehmen macht, Anpassungen geben. Die Abgeordneten wollen Veränderungen durch Inflation und veränderte Arbeitsproduktivität in die Definition einfließen lassen. So solle verhindert werden, dass in den kommenden Jahren erneut rasche Anpassungen erforderlich würden, heißt es in dem Text. Konkrete Werte nennt das Parlament nicht.
Erhoben wird zudem die Forderung, die Kommission solle über eine neue Kategorie „Midcap-Unternehmen“ nachdenken. Das sind Firmen, die von der Mitarbeiterzahl her nicht mehr in die KMU-Definition passen, aber von der Organisationsstruktur her durchaus als Mittelständler gelten könnten. Solchen Unternehmen werde von der Politik „keine angemessene Aufmerksamkeit gewidmet“. Eine Studie soll außerdem Aufschluss darüber geben, welche Auswirkungen branchenspezifische KMU-Definitionen hätten.
Unterstützung durch die DIHK
„Die derzeitige KMU-Definition der Europäischen Kommission ist nicht mehr zeitgemäß“, urteilt Marc Evers, Mittelstandexperte bei Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in Berlin. Die Schwellenwerte seien seit 2003 unverändert geblieben. „Die Grenzen sollten gemäß der seitdem eingetretenen Preissteigerungen und Produktivitätsfortschritte deutlich erhöht werden“, ergänzt er. Wichtig sei es auch, die Beschäftigtenschwelle auszuweiten: von derzeit 250 auf mindestens 500 Personen. „Die Erfahrung aus Deutschland und anderen Ländern zeigt, dass Unternehmen ab 250 Mitarbeitern große Wachstumschancen haben, etwa aufgrund ihrer Marktreichweite“, stellt Evers fest. Gleichzeitig wiesen sie aber noch die Eigenschaften typischer Mittelständler auf. So fehlten häufig Rechts- und Personalabteilungen, die den Inhabern Bürokratie abnehmen könnten. Die angedachte Einführung einer neuen Kategorie „Midcap“ wertet der Mittelstandsexperte des DIHK als zumindest richtigen Schritt. Dabei würden vor allem innovationsaktive Mittelständler in den Blick genommen. Gerade dort erlebe man in den vergangenen Jahren „Konzentrationstendenzen zugunsten größerer Unternehmen“.
KMU-Definition hat wenig Einfluss in Deutschland
Mit Blick auf das Vergaberecht habe die KUM-Definition in Deutschland weniger Einfluss. Mit der Novellierung des Vergaberechts, die im April 2016 in Kraft getreten ist, solle es durch die Pflicht zur Losaufteilung auch für KMU hierzulande einfacher werden, bei öffentlichen Aufträgen den Zuschlag zu erhalten. „Hier sind nun die EU-Mitglieder gefragt, die Definition der EU zu übernehmen“, fordert Evers. „Das würde auch die grenzüberschreitende Beteiligung von Mittelständlern an Ausschreibungen erleichtern.“
Kritik an starren Definitionen
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie in Berlin glaubt dagegen nicht, dass irgendeine Festlegung den Mittelstand betreffend zuträglich ist. „Unternehmen benötigen die Möglichkeit und den Anreiz, durch Erfolge am Markt zu wachsen“, teilte Sprecherin Iris Grundmann mit. Für einen wirksamen Wettbewerb sei es erforderlich, den bürokratischen und wirtschaftlichen Aufwand einer Beteiligung an Vergabeverfahren der öffentlichen Hand so gering wie möglich zu halten. „Feste Zahlenvorgaben wirken kontraproduktiv“, meint sie mit Blick auf die Kriterien „Beschäftigte“ und „Umsatz“. Und:
Keine Definition sei für sich genommen bestimmt oder geeignet, die Chance auf den Zuschlag zu verbessern.
Der Verband der Bauindustrie erinnert daran, dass die europäische KMU-Definition zur Forschungsförderung entwickelt worden sei. Sie passe nicht als Kriterium für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Insbesondere der industrielle Mittelstand falle aus den europäischen Vorgaben regelmäßig heraus. Dennoch werde die Definition verwendet, wenn es um die Abgrenzung von Unternehmen bei der Mittelstandsförderung gehe.
Wer gehört zum Mittelstand? Uneinigkeit über Kriterien
Eine Zusammenstellung zeigt, dass die Europäische Union nur eine von vielen Institutionen ist, die festlegen will, wer zum Mittelstand gehört. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau zieht beim Jahresumsatz eine Grenze von 500 Millionen Euro und liegt damit deutlich über der Zahl der EU. Das Bundesministerium für Wirtschaft zählt Firmen dazu, bei denen Eigentum, Haftung und Leitung in einer Hand liegen. Noch einmal anders definiert den Begriff der Kleinen und Mittleren Unternehmen das Institut für Mittelstandforschung in Bonn. Sie nimmt eine Beschäftigtenanzahl bei KMU von maximal 4.999 Mitarbeitern an. Zudem müsse der Unternehmer maßgeblichen persönlichen Einfluss ausüben, das unternehmerische Risiko tragen und über die Firma seine persönliche Existenz- und Erwerbsgrundlage sichern. Das Bauhauptgewerbe in Deutschland umfasst rund 106.500 Unternehmen. Davon haben 98,5 Prozent einen Umsatz von unter zehn Millionen Euro im Geschäftsjahr. Das ist ein Anteil von etwas mehr als 50 Prozent am Jahresumsatz des gesamten Gewerbes, 1,3 Prozent liegen zwischen zehn und 50 Millionen Euro Umsatz pro Jahr, das sind noch rund zwei Fünftel gemessen am Gesamtjahresumsatz. Nur 0,2 Prozent der Unternehmen liegen über einem Umsatz von 50 Millionen Euro und mehr pro Geschäftsjahr. Allerdings ist das immer noch etwas mehr als ein Viertel des Jahresumsatzes in der Branche.
Vergaberechtliche Hürden: KMU und die Realität öffentlicher Aufträge
Die auf Vergaberecht spezialisierte Rechtsanwältin Beatrice Fabry aus Stuttgart glaubt nicht, dass allein eine Anpassung der KMU-Definition die Chancen von Mittelständlern auf den Zuschlag bei einem Vergabeverfahren erhöht. Dazu müsse gleichzeitig das Vergaberecht geändert werden, und dies stehe nicht im Raum. Unternehmen, die als KMU gelten, hätten derzeit gegenüber anderen Unternehmen keine besonderen einklagbaren Rechte. Mit Blick auf die Mittelstandsfreundlichkeit sollen bei den Eignungskriterien die Anforderungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht zu hoch angesetzt werden, ergänzt sie. Das aber sei lediglich ein Hinweis für Auftraggeber für eine mögliche „vergaberechtliche Stellschraube“. Ihr sei kein Fall bekannt, in dem KMU erfolgreich gerügt hätten, die Eignungskriterien seien zu hoch angesetzt worden.
Auftraggeber darf bei Wertung nicht nach Unternehmensgröße differenzieren
Mark von Wietersheim, Vergaberechtsanwalt in Berlin, hält es für sinnvoll, sich mit der KMU-Definition zu beschäftigen. Dieser sei bisher sehr undifferenziert und umfasse eigentlich eine zu große Bandbreite von Unternehmen. Eine Unterscheidung in Marktbereiche halte er aber nicht für zielführend. Je nach Markt könne ein Unternehmen relativ gesehen klein oder groß sein. Auch von Wietersheim ist der Meinung, dass durch eine veränderte Definition das Vergaberecht noch nicht geändert werde. Die Zuschlagschancen hält er außerdem für unberührt, da Auftraggeber bei der Wertung nicht nach Unternehmensgröße differenzieren dürften. Grundsätzlich ist sich der Vergabeexperte nicht sicher, ob eine Besserstellung von KMU überhaupt notwendig ist. Bei Unterschwellen-Vergaben gibt es seiner Einschätzung nach ausreichend Chancen für kleine und mittlere Unternehmen. Und diese Vergaben umfassten, so von Wietersheim, einen erheblichen Umfang des gesamten öffentlichen Auftragsvolumens.