«Ich sehe grundsätzlich keine Grenzen für nachhaltige Beschaffung.«
Dieser Artikel wurde unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Werkstatt Ökonomie: Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung
Uwe Kleinert, Fachpromoter für Wirtschaft und Menschenrechte sowie Mitarbeiter der „Werkstatt Ökonomie“ in Heidelberg, spricht über den Umgang mit nachhaltiger Beschaffung durch Städte und Gemeinden.
Supply: Wie definieren Kommunen für sich den Begriff der nachhaltigen Beschaffung?
Uwe Kleinert: Vor dem Hintergrund der Gespräche, die ich mit kommunalen Beschaffern führe, habe ich den Eindruck, dass „nachhaltige Beschaffung“ überwiegend als Synonym für „umweltfreundliche Beschaffung“ verwendet wird. Man denkt dabei in erster Linie an Energieeinsparung, Energieeffizienz, Lebensmittel aus biologischem Anbau, Textilien aus Bio-Baumwolle oder Recycling-Papier. Die ökologische Qualität der beschafften Produkte und Dienstleistungen haben viele Kommunen also durchaus im Blick, insbesondere wenn das mit Kosteneinsparungen einhergeht, wie etwa bei der Anschaffung energieeffizienter Geräte. Andere Nachhaltigkeitsaspekte werden seltener berücksichtigt, beispielsweise solche, die sich nicht in den materiellen Eigenschaften eines Produktes niederschlagen. Dazu gehören zum Beispiel die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette, etwa von Textilien oder IT-Geräten, oder auch die ökologischen Bedingungen bei der Produktion, also zum Beispiel der Ressourcenverbrauch oder der Umgang mit Abfällen.
Supply: Gibt es für Kommunen denn genügend Unterstützung von anderen Ebenen wie Bund und Land, damit nachhaltige Beschaffung leichter umgesetzt werden kann?
Kleinert: Mit den Vergaberechtsreformen der letzten Jahre wurden die Möglichkeiten, nachhaltig zu beschaffen, deutlich gestärkt. Aus „vergabefremden Aspekten“ wurden „strategische Ziele“. Und es ist inzwischen unstrittig, dass bei der öffentlichen Beschaffung Anforderungen an den gesamten Produktlebenszyklus, von der Rohstoffgewinnung über Herstellung und Nutzung bis hin zur Entsorgung, gestellt werden können. Das widerspricht althergebrachten Vergabegrundsätzen. Deshalb geht es jetzt vor allem darum, die Beschaffer in Sachen Nachhaltigkeit zu qualifizieren und bei der nachhaltigen Beschaffung zu unterstützen. Die Kompetenzstelle Nachhaltige Beschaffung beim Beschaffungsamt des Innenministeriums bietet bundesweit Beratungen und Schulungen an. Und mit dem Kompass Nachhaltigkeit steht eine praxisorientierte Internetplattform zur Verfügung. Serviceangebote auf Landesebene gibt es meines Wissens nur in Bremen.
Supply: Klingt so, als sei da noch Luft nach oben …
Kleinert: Die Beratungsangebote reichen meines Erachtens bei weitem noch nicht aus. Die Lücken werden im Moment noch von einigen zivilgesellschaftlichen Organisationen geschlossen. Ich denke aber, dass es Aufgabe des Staates ist, seine Mitarbeiter für die Praxis fit zu machen. Dazu gehört auch, dass Nachhaltigkeit endlich konsequent in die Ausbildung der Verwaltungsmitarbeiter integriert wird.
Supply: Welche Voraussetzungen müssen in Kommunen strukturell gegeben sein, damit nachhaltige Beschaffung überhaupt eine bedeutende Rolle spielen kann?
Kleinert: Nachhaltige Beschaffung darf nicht den einzelnen Beschaffern überlassen bleiben. Die sollten wissen, dass sie politische Rückendeckung haben, wenn sie nachhaltig beschaffen. Noch besser ist es aber, wenn Nachhaltigkeit in den Kommunen zum Vergabegrundsatz wird, etwa über einen Gemeinderatsbeschluss oder eine Dienstanweisung der Verwaltungsspitze. Konkrete Ziele, etwa für einen bestimmten Produktbereich, und ein Monitoring der Umsetzung sind ebenso wichtige Elemente einer strategisch an Nachhaltigkeit ausgerichteten Beschaffung. Viele Kommunen, die mit nachhaltiger Beschaffung beginnen, verbinden dies mit einer strategischen Neuausrichtung ihrer Beschaffungsorganisation. Je zentraler beschafft wird, desto einfacher ist es, einheitliche Standards umzusetzen – nicht nur in Sachen Nachhaltigkeit. Eine zentrale Beschaffung ist transparenter und besser steuerbar. Einheitliche Abläufe, Vorlagen und Verträge sowie die Bündelung von Beschaffungsvorgängen und Kompetenzen der Mitarbeiter führen zu Vereinfachungen und Einsparungen.
Supply: Welche Bereiche eignen sich in Kommunen besonders für eine nachhaltige Beschaffung?
Kleinert: Ökologische Kriterien können, und sollten, natürlich in nahezu jedem Beschaffungsbereich berücksichtigt werden, etwa bei Baudienstleistungen, der Energieversorgung, dem Fuhrpark oder der Verpflegung von Mitarbeitern. Hier lässt sich relativ einfach überprüfen, ob die geforderten Merkmale auch eingehalten werden.
Nicht ganz so einfach ist das zum Beispiel für die Arbeitsbedingungen in der Lieferkette; aber auch hier gibt es für viele Produktbereiche inzwischen glaubwürdige Nachweise. Lebensmittel aus fairem Handel, Natursteine mit einem Zertifikat von Fair Stone oder XertifiX, Textilien mit dem Siegel des Global Organic Textile Standard oder dem Label der Fair Wear Foundation sowie Holzprodukte mit dem FSC-Zeichen sind nur einige Beispiele aus Produktbereichen, die sich gut für den Einstieg in die nachhaltige Beschaffung eignen. Bei der Suche nach glaubwürdigen Gütezeichen hilft übrigens auch der Kompass Nachhaltigkeit.
Supply: Wo hat nachhaltige Beschaffung in Kommunen ihre Grenzen?
Kleinert: Ich sehe grundsätzlich keine natürlichen Grenzen für eine nachhaltige Beschaffung, weder finanzielle noch personelle. Natürlich ist Nachhaltigkeit nicht immer zum Nulltarif zu haben. Mal ist sie mit Einsparungen, mal mit Mehrkosten verbunden. Wer allerdings nur auf den Einkaufspreis schaut, darf sich in Sachen Nachhaltigkeit keine Illusionen machen. Es ist wichtig, bei der Beschaffung nicht nur auf den Preis, sondern auf die Wirtschaftlichkeit zu achten und damit Aspekte wie Langlebigkeit, Reparierbarkeit, Servicequalität und Betriebs- und Entsorgungskosten mit in den Blick zu nehmen. Bei Produktgruppen, für die es keine glaubwürdigen Nachweise gibt oder wo zertifizierte Produkte noch nicht in ausreichender Menge am Markt verfügbar sind, ist eine sozial verantwortliche Beschaffung in der Regel mit einem höheren personellen Aufwand verbunden. Pilotprojekte scheinen mir ein gangbarer Weg zu sein, um sich solchen Herausforderungen mit einem definierten Einsatz personeller Ressourcen zu stellen.
Supply: Spielt eine nachhaltige Beschaffung im Unterschwellenbereich automatisch eine eher geringere Rolle oder ist es gerade so, dass sich das hier einfacher umsetzen lässt?
Kleinert: Ich würde nicht davon ausgehen, dass nachhaltige Beschaffung im Unter- oder Oberschwellenbereich grundsätzlich eine größere oder geringere Rolle spielt oder einfacher beziehungsweise schwieriger umsetzbar ist. Die rechtlichen Spielräume zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien sind ja in beiden Bereichen gleichermaßen gegeben. Es könnte sein, dass man Neues, und das ist die nachhaltige Beschaffung ja, zuerst in einem Kontext ausprobiert, der einem vertrauter ist und wo es weniger formelle Anforderungen gibt. Aber auch für eine gegenteilige Einschätzung ließen sich Argumente finden.
Supply: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kleinert.