Gute Einkäufer kosten Geld!
Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Michael Eßig über die Herausforderungen der Beschaffung in Deutschland.
Die Beschaffungsexperten sind sich einig: Die Implementierung des bestehenden Rechtsrahmens ist dringend erforderlich, um eine bessere Beschaffungspraxis in Deutschland zu erreichen. Supply führte ein Gespräch mit Prof. Dr. Michael Eßig, einem ausgewiesenen Fachmann für Materialwirtschaft und Distribution an der Universität der Bundeswehr München, um das Spannungsfeld zwischen Wunsch und Wirklichkeit der Beschaffung in Deutschland zu beleuchten.
Der neue Rechtsrahmen und die Qualität der Beschaffung
Die Einführung des neuen Vergaberechts in Deutschland sollte den Fokus weg vom reinen Preiswettbewerb hin zu einem umfassenderen Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitswettbewerb lenken. Laut Prof. Dr. Eßig, der die Gesetzesbegründung analysiert hat, war dies zwar bereits mit dem alten Vergaberecht prinzipiell möglich, wurde jedoch jetzt verstärkt betont. Das eigentliche Problem sieht er nicht in einem Regulierungsdefizit, sondern vielmehr in einem Implementierungsdefizit in der öffentlichen Beschaffung. Daten zur Qualität der öffentlichen Beschaffung sind jedoch schwer zu ermitteln.
Eine Analyse der TED-Datenbank ergab beispielsweise, dass die Quote der Vergaben, die ausschließlich nach dem günstigsten Preis vergeben wurden, im europaweiten Vergleich extrem hoch ist und fast 50 Prozent beträgt. In Frankreich und Großbritannien erhält dagegen in 80 bis 90 Prozent der Fälle das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag.
Warum hinkt Deutschland hinterher?
Prof. Dr. Eßig betont, dass die Industrie bereits vor einem Jahrzehnt die Bedeutung des strategischen Einkaufs erkannt hat, während öffentliche Auftraggeber erst jetzt damit beginnen. Die strategische Aufwertung des Einkaufs erfordert die Formulierung einer Beschaffungsstrategie, die Anwerbung hochqualifizierten Personals, angemessene Bezahlung und die Fähigkeit, strategische Beschaffungsaufgaben zu erfüllen. Das Verständnis für die Zusammenhänge entwickelt sich erst langsam.
Vorbildliche EU-Staaten und ihre Maßnahmen
In Bezug auf die erfolgreiche Umsetzung strategischer Beschaffungsnormen werden oft Länder wie Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Skandinavien genannt. Diese Länder haben nationale Aktionspläne entwickelt und die Qualifikation ihres Beschaffungspersonals verbessert. In Deutschland hingegen fehlt es oft an spezifischer Ausbildung für Beschaffer, was zu einer hohen Zahl von Vergaben führt, die lediglich administrativ abgewickelt werden.
Das föderale System und seine Auswirkungen
Die Dezentralisierung in Deutschland erschwert die Umsetzung effektiver Beschaffungspraktiken. Der Großteil des Beschaffungsvolumens liegt im kommunalen Bereich, wo oft nur begrenzte Ressourcen für die Beschaffung zur Verfügung stehen. Prof. Dr. Eßig stimmt zu, dass das Berufsbild des öffentlichen Einkäufers überdacht werden sollte, und schlägt vor, unterschiedliche Profile für verschiedene Aufgaben im Bereich Beschaffung zu schaffen.
Die Implementierung des bestehenden Rahmens
Der Schlüssel zur Verbesserung der Beschaffungspraxis liegt laut Prof. Dr. Eßig in der Automatisierung operativer und administrativer Prozesse. Dadurch werden Ressourcen freigesetzt, die dann in die strategische Qualifikation investiert werden können. Jeder Euro, der in die Qualität des Einkaufs investiert wird, zahlt sich mehrfach aus, sei es durch Einsparungen oder hochwertigere Produkte.
Die Rolle der Auftragnehmer
Die Durchführung von Vergabeverfahren hat sich für viele Unternehmen als komplex und zeitaufwendig erwiesen. Um die Wettbewerbsintensität zu erhöhen, schlägt Prof. Dr. Eßig vor, die Teilnahme für Unternehmen zu vereinfachen, beispielsweise durch Präqualifizierung.
Die Vielfalt der Bundesländer
Die Qualität der Beschaffung variiert von Bundesland zu Bundesland. Es gibt vorbildliche Vergabestellen, aber auch solche, bei denen es Verbesserungsbedarf gibt. Eine verstärkte Aufmerksamkeit seitens der Leitung führt oft zu einem Potenzialanstieg in der Beschaffung.
Soziale Netzwerke und Beschaffung
Prof. Dr. Eßig betont die Bedeutung von sozialen Netzwerken bei der Entwicklung von Kompetenz im Beschaffungsbereich. Neben den zentralen Kompetenzzentren können auch dezentrale Beschaffer einen wichtigen Beitrag leisten.
Zentrale Vergabestellen und Dezentralisierung
Die Frage, ob zentrale Vergabestellen sinnvoll sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Prof. Dr. Eßig glaubt, dass eine gewisse Zentralisierung notwendig ist, um die Implementierungsfähigkeit und Kompetenz zu erhöhen. Verschiedene Modelle, von loser Kooperation bis hin zu organisatorischen Zusammenschlüssen, sind denkbar.
Insgesamt zeigt das Gespräch mit Prof. Dr. Michael Eßig, dass Deutschland noch einen langen Weg vor sich hat, um eine exzellente Beschaffungspraxis zu erreichen. Der Schlüssel liegt nicht in neuen Gesetzen, sondern in der effektiven Umsetzung des bestehenden Rechtsrahmens und in der Qualifizierung des Beschaffungspersonals. Gute Einkäufer kosten Geld, aber die Investition zahlt sich aus durch bessere Beschaffungspraktiken und qualitativ hochwertige Produkte.