Eine Frage der Ehre
Dieser Artikel wurde unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Big Four: Mit Steuervermeidung zum Staatsauftrag
In Wirtschaft und Politik haben sich die vier großen internationalen Wirtschaftsprüfer Deloitte, KPMG, PricewaterhouseCoopers und Ernst & Young unentbehrlich gemacht. Ihr Credo: Was nicht explizit verboten ist, ist erlaubt. So sorgen sie für Steuervermeidung im großen Stil, werden aber zugleich mit großen Aufträgen aus der Staatskasse bedacht.
KPMG, Deloitte, PwC und EY: Prüfstand der Weltkonzerne
Sie sind verschwiegen, agieren unauffällig und halten sich gern im Hintergrund. Ihr Kleidungsstil: klassisch, in gedeckten Farben. Klarheit sollten sie schaffen, Unternehmensbilanzen nach Fehlern und verborgenen Risiken durchforsten. Ihrem Urteil sollten Anleger und Aufsichtsgremien vertrauen. So hatten sich das die Gesetzgeber jedenfalls vorgestellt, als sie im Handelsgesetzbuch (HGB) Auftrag und Pflichten für die Zunft der Wirtschaftsprüfer definierten. Und äußerlich passt ja auch alles: Seriös wirken sie allesamt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der vier großen internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften KPMG, Deloitte, Pricewaterhouse- Coopers (PwC) und Ernst & Young (EY). „Big Four“ werden sie genannt und sind in nahezu jedem Land dieser Erde vertreten. Ihre Kunden sind die großen internationalen Konzerne und natürlich auch all jene Superreichen, die sich den teuren Service der Vier leisten können. Sonderlich spannend klingt das Geschäft der Vier eigentlich nicht. Einmal im Jahr prüfen sie die Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften und bewerten den Unternehmenslagebericht. Kommen sie zu dem Schluss, dass alles korrekt ist und den gesetzlichen Vorschriften entspricht, dokumentieren sie ihr Prüfungsurteil mit einem Bestätigungsvermerk, dem sogenannten Testat.
Globale Präsenz
Spannender wird die Arbeit der Vier mit ihrem zweiten Geschäftsfeld, der Steuerberatung. Hier kommen die globalen Netzwerkstrukturen der Big Four ins Spiel. Sie sind inzwischen in 180 der weltweit existierenden 194 Staaten präsent. Das macht die Big Four zu Lieblingen der Aufsichtsräte: 99 der 100 im Nasdaq geführten Unternehmen und alle 30 im DAX gelisteten Kapitalgesellschaften werden von einem der vier Großen betreut. Wichtigstes Argument: Weil die Unternehmen international aufgestellt seien, müssten dies auch deren Wirtschaftsprüfer bieten. Und das können derzeit nur die Big Four. Sie hatten die mit der Globalisierung einhergehenden Chancen erkannt und genutzt. Emsig bauten EY, PwC, Deloitte und KPMG ihre internationalen Standorte aus und schufen neue. Oft folgten sie ihren Kunden, gelegentlich aber auch umgekehrt. Denn mancher Standort bot zwar keine Produktionsvorteile, sehr wohl aber erhebliche steuerliche Anreize. Bei den Big Four wächst seit Jahren das Wissen über die intimsten Details in den von ihnen betreuten Unternehmen und das Wissen über Branchen, Märkte, politische, technische und wirtschaftliche Entwicklungen. Zugleich wächst ihr Wissen über die verschiedensten Steuersysteme rund um den Erdball. Bienenfleißig tragen die Berater der Vier ihre Erkenntnisse zusammen und kombinieren sie. Grenzübergreifend natürlich. Und ganz im Sinne ihrer Klientel. Das macht sie so richtig sexy für die Finanzvorstände in den Konzernen und natürlich auch für steuerscheue Privatleute.
Lückensucher
Ob Deloitte, KPMG, PwC oder EY, sie alle zeichnen sich durch ein ausgesprochen elastisches Verhältnis zu dem Steuernomen der Länder dieser Welt aus. Ganze Beraterkohorten basteln unter dem verniedlichenden Begriff „Steueroptimierung“ komplizierte Konstrukte, die es Umsatzgiganten wie Amazon, Volkswagen oder Ikea ermöglichen, im besten Falle weniger als 1 Prozent Steuern auf ihre Erträge zu zahlen. Eifrig werden im globalen Maßstab Gesetzeslücken genutzt, Gewinne in Niedrigsteuerländer verschoben und die Verluste in Hochsteuerländern geltend gemacht. Prompt sind Staaten wie Malta, die Niederlande, die Caymans oder Enklaven wie die britischen Kanalinseln mit Briefkastenfirmen übersät. Kein Steuerskandal der vergangenen Jahre, an dem die Big Four nicht beteiligt waren. Geschadet hat ihnen das bislang nicht, denn viele Steuersparmodelle, die in den Büros der Vier ersonnen wurden, waren und sind oft gerade noch so eben legal. Das Credo: was nicht explizit verboten ist, ist erlaubt. Und wenn’s doch mal verboten ist, dann wird die Strafe in aller Stille gezahlt. Einzelne Mitarbeiter der Big Four waren es, die als Whistleblower die Praktiken der aggressiven und systematischen Steuervermeidung ans Licht brachten. Von der Veröffentlichung der LuxLeaks-Papiere in 2014 über die Panama zu den Paradise Papers in 2016 und 2018: KPMG, Deloitte, PwC und EY waren immer dabei. Sie prüften die Bücher nahezu aller in den Dokumenten aufgeführten Unternehmen und Privatpersonen. Und legitimierten mit ihren Testaten die selbst ersonnenen Steuerschiebereien.
Jährlich entgehen den Finanzministern in der Europäischen Union durch die gezielte Steuervermeidung rund 50-190 Milliarden Euro, schätzen Experten.
Geld, das in den Haushalten der Länder Europas fehlt. Etwa um Schulden abzubauen, Schulen zu sanieren, Straßen und Brücken zu modernisieren, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen oder die Digitalisierung voranzubringen. Um die Vormacht der Big Four aufzubrechen – und damit auch die aggressive Steuervermeidung zu reduzieren – ist aus Sicht von Michael Gschrei, Vorsitzender des Verbands mittelständischer Wirtschaftsprüfer, ein Vorgehen nötig, wie es in Frankreich vorgeschrieben ist: In sogenannten Joint Audits prüfen dort zwei Gesellschaften unabhängig voneinander dasselbe Unternehmen. Sie kontrollieren sich gegenseitig. Zudem sollten die Prüfer für Fehlleistungen in Haftung genommen werden. Doch das konnten die Vier in Deutschland bisher erfolgreich vereiteln.
Intime Einblicke
Richtig rund wird das Geschäftsmodell der Vier jedoch erst durch ihren dritten Geschäftsbereich: die strategische Beratung. Zunehmend rücken sie den klassischen Unternehmensberatern von Roland Berger, Accenture oder McKinsey auf den Pelz. Was die Buchprüfer der Big Four in den Konzernen erfahren, nutzen deren Berater flugs für strategische Beratung zu Geschäftsmodellen, Zukunftsausrichtungen oder auch zu Compliance, also der Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften. Auf die Frage, wie sie selbst es mit der Einhaltung von Gesetzen gerade mit Blick auf grenzgängerische Steuermodelle halten, antworten die Sprecher von KPMG, EY, Deloitte und PwC unisono: Sie agierten „gesetzeskonform entsprechend der nationalen und internationalen Gesetzgebung“. Eine Antwort, die Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, erzürnt: „Nicht alles, was legal ist, ist legitim.“ Es wirkt dann auch wie pure Ironie, dass ausgerechnet jene Vier, die helfen, Jahr für Jahr Steuern in Milliardenhöhe am Fiskus vorbei zu schleusen, als Berater in Ministerien Millionen-Honorare kassieren – aus Steuermitteln natürlich. CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer bucht sie ebenso wie sein Parteifreund Horst Seehofer für das Innenministerium, Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Olaf Scholz (SPD) oder auch sein Parteikollege Außenminister Heiko Maas.
Fatale Wissenserosion
Fleißig erstellen die Experten der Big Four im ministeriellen Auftrag Gutachten und Studien – und beraten, gern auch längerfristig. Ihr Aktionsradius reicht dabei von der Beratung für die Beschaffung der Bundeswehr bis hin zum Monitoring der Einhaltung von Menschenrechten in den Auslandsproduktionen deutscher Unternehmen im Auftrag des Außenministeriums. Dass die Vier in den Ministerien Fuß fassen konnten, ist leicht erklärt: Sie bringen Wissen mit, das in den Ministerien seit Jahren personell weggespart und nicht wiederaufgebaut wurde. In Gang kam stattdessen eine fatale Spirale der Wissenserosion: Die Regierung holte externe Berater, weil intern das nötige Fachwissen fehlte. Weil aber nun die Externen da waren, wurde intern kein Fachwissen aufgebaut und stattdessen noch mehr externe Berater mit Fachwissen gebraucht. Ein Teufelskreis. Es wäre naiv zu glauben, dass all die eloquenten Polit-Berater der Big Four nun völlig unabhängig agieren und nicht die Interessen ihrer Großkunden aus der Wirtschaft im Blick hätten. Ein klassischer Interessenkonflikt, ganz besonders, wenn es um neue Gesetze und Vorschriften geht. Allerdings streiten dies die Sprecher der Big Four entrüstet ab. Es gäbe bei ihnen keine Interessenkonflikte zwischen Wirtschaftsprüfung und Beratung. „Ausgemachter Blödsinn!“, hält der Londoner Wirtschaftsprofessor und Experte für internationales Steuerrecht Richard Murphy dagegen. Aus seiner Sicht müssen Beratung und Prüfung strikt getrennt werden. Nur so ließen sich Interessenkonflikte vermeiden. Das werden die Lobbyisten der Big Four zu verhindern wissen. Bislang ist es ihnen immer wieder gelungen, aus Gesetzesentwürfen missliebige Passagen zu entfernen oder sie so weit zu entschärfen, dass ihre Geschäfte keinen Schaden nehmen. Und wenn’s richtig gut läuft, werden sie dafür als Berater auch noch aus dem Steuersäckel bezahlt.