Durchschnitt heißt nicht wirtschaftlich.
Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Ein Blick auf die umstrittene mittelwert-methode bei öffentlicher Vergabe.
Wer ein Grundlagenseminar zum durchaus komplexen Thema „Öffentliches Vergaberecht“ besucht, der wird so ziemlich als Erstes lernen: Den Zuschlag für einen Auftrag erhält der Bieter, der das wirtschaftlichste Angebot gemacht hat. Es ist eine der wichtigsten Regeln im Vergaberecht überhaupt – sowohl auf europäischer Ebene als auch im Unterschwellenbereich. Am „wirtschaftlichsten“, das bedeutet allerdings in sehr vielen Fällen am „preisgünstigsten“. Daran konnten auch die Reformen des Vergaberechts der jüngeren Vergangenheit nichts ändern, die vorsehen, anderen Aspekten wie dem Preis stärkeres Gewicht zu verleihen.
Einem Bieter muss klar sein, wie bewertet wird
Wie man am Ende zum wirtschaftlichsten Angebot kommt, legt der Auftraggeber fest. Er muss die Angebote bewerten, die verschiedenen Kriterien also gewichten – und ist dann im Prinzip an die resultierende Rangfolge der Unternehmen gebunden. Es gibt einen großen Ermessensspielraum, wie im Detail bewertet werden kann. Zu beachten ist dabei nur, dass dem Bieter klar sein muss, welche Spielregeln bei der Bewertung der Angebote gelten. So kann er sich darauf einstellen und entsprechend kalkulieren.
Die sogenannte Mittelwertmethode führt dieses Prinzip ad absurdum: Hier bilden die Preise aller Angebote einen Durchschnitt, der als Zielmarke gilt. Dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entspricht das aber nicht: Bei der Mittelwertmethode erhält nicht der Bieter mit dem niedrigsten Angebot den Zuschlag, sondern derjenige, der dem Preisdurchschnitt aller Angebote am nächsten kommt. Viel schwerer wiegt aber, dass Auftraggeber auch juristisch mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern, wollen sie die Mittelwertmethode einsetzen. Denn dann laufen sie große Gefahr, vergaberechtswidrig zu handeln. Das hat die Vergabekammer Sachsen in einer Entscheidung von Ende Oktober 2017 festgestellt. Problematisch ist dann nämlich, dass in das Zuschlagskriterium Preis möglicherweise auch qualitative Aspekte einfließen. Eine solche Vermischung ist nach dem Vergaberecht aber unzulässig.
Bei der Bewertungsmethode gibt es großen Ermessensspielraum
Im Fall, den die Vergabekammer zu entscheiden hatte, ging es um europaweit ausgeschriebene Ingenieurleistungen zur Sanierung und Erweiterung eines Gymnasiums in Kamenz (Aktenzeichen 1/ SVK/004-17). Der Auftraggeber hatte zwei Zuschlagskriterien in die Ausschreibung aufgenommen: die Projekteinschätzung und das Qualitäts-, Kosten- und Terminmanagement. Bei der Punktewertung lag ein Bewerber mit 76 Punkten vorne, der Mitbewerber erreichte 75,25 Punkte. Daraufhin rügte Letzterer die Vergabe. Ein Kritikpunkt war die Bewertungsmethode. Zwar verfüge der Auftraggeber in dieser Hinsicht über einen weiten Ermessensspielraum, der durch eine Vergabekammer nur in begrenztem Umfang überhaupt überprüft werden könne, so die Vergabekammer. Allerdings müsse dabei der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gewahrt bleiben. Dieser ist in Paragraf 97 festgelegt. Genau das aber war aus Sicht der Vergabekammer nicht gegeben. Wenn der Mittelwert aller Angebote als Referenzwert gelte und ausgehend davon der Abstand der einzelnen Angebote nach oben und unten als Wertungsmaßstab festgelegt sei, erhalte nicht zwangsläufig das günstigste Angebot die volle Punktzahl, sondern das Angebot, das am wenigsten vom Mittelwert abweiche. Die Methode könne also dazu führen, dass ein Angebot, das erheblich günstiger sei als der Mittelwert, eine niedrigere Punktzahl erhalte als ein Angebot, das über dem Mittelwert liege.
Dumping-Angebote müssen schon vor der Wertung auffallen
Der Auftraggeber hatte argumentiert, er habe sich über die Mittelwertmethode vor Dumpingangeboten schützen wollen. Dem hielt die Vergabekammer Folgendes entgegen: Die Frage, ob ein Honorarangebot wie in diesem Fall auskömmlich sei, unterliege einer eigenen Prüfung – getrennt von der inhaltlichen Bewertung eines Angebots.
Gebe es Anhaltspunkte für ein ungewöhnlich niedriges Angebot, müsse der Auftraggeber schon im Verfahren eine Aufklärung verlangen.
Es sei schlicht wenig nachvollziehbar, dass ein Bieter, dessen Angebot beispielsweise 2.000 Euro günstiger sei als der Durchschnittswert von 10.000 Euro, beim Kriterium Preis weniger Punkte bekommen solle als ein Bieter, dessen Angebot 1.000 Euro teurer als der Durchschnitt sei. Die Gütestelle Honorar- und Vergaberecht (GHV) hat die Mittelwertmethode vor einigen Jahren verteidigt. Sie schreibt in einer eigenen Publikation dazu, dass es bei geistig-schöpferischen Leistungen nicht zu empfehlen sei, den niedrigsten Preis als besten Preis zu werten. Es sei darauf zu achten, dass ein auskömmliches Honorar entstehe, damit der Auftraggeber eine optimierte Planung und nicht eine nach Aufwand minimierte erhalte. Damit wollte die GHV erreichen, dass Bieter nicht in einen Preiswettbewerb eintreten, sondern das Angebot tatsächlich nur anhand des eigenen Aufwandes kalkulieren.
Auch die EU-Kommission lehnt die Mittelwertmethode ab
Die Vergabekammer in Sachsen hält die Mittelwertmethode allerdings anfällig für Manipulationen. Durch die Abgabe eines einzelnen hohen Angebots könne der Mittelwert künstlich nach oben gezogen werden. Damit hätten andere, ebenfalls hochpreisige Angebote bessere Chancen und würden mehr Punkte bekommen, weil sie sich in der Nähe des manipulierten Mittelwerts befänden. Günstigere Angebote hingegen würden benachteiligt, da ihr Abstand zum Mittelwert größer wäre und sie weniger Punkte erhielten. Genau diese Argumentation wird auch von der Europäischen Kommission in Brüssel gestützt. Die Mittelwertmethode stehe dann nicht im Einklang mit dem Unionsrecht, wenn sie teurere Angebote begünstige, die dem Durchschnitt näher kämen als günstigere. Auch würden die Möglichkeiten von Bietern, durch die Preisgestaltung Einfluss auf den Wettbewerb zu nehmen, begrenzt. Wolle er im Kriterium Preis eine hohe Punktzahl erhalten, müsse er nicht seine eigenen Kosten im Blick behalten, sondern sich möglichst stark den vermuteten Preisen der Konkurrenz annähern. Eine Entscheidung in Bezug auf die Mittelwertmethode durch die Vergabekammer war allerdings gar nicht mehr nötig. Sie setzte das Verfahren schon zuvor aus einem anderen Grund zurück: Der Auftraggeber hatte sich beim Zusammenzählen der Punktewertung verrechnet. Beide Bewerber hatten am Ende die gleiche Punktzahl. Eine Vorkehrung, wie in einem solchen Fall zu verfahren sei, hatte der Auftraggeber nicht getroffen.
Angebote an den Rändern dürfen nicht allzu großes Gewicht erlangen
Auch ein Urteil der Vergabekammer Baden-Württemberg aus dem Januar des vergangenen Jahres liefert einen Hinweis darauf, wie wenig brauchbar die Mittelwertmethode für eine Bewertung von Angeboten ist. Es ging dabei um Verpflegungsleistungen für eine Erstaufnahmeeinrichtung (1 VK 2/17). Bei der Mittelwertmethode kam sie zu dem Ergebnis, dass sie besser nicht angewendet werden solle, weil Werte, die am Rande des Spektrums liegen, gleichermaßen Einfluss auf die Bildung des Mittelwertes nähmen. So könnten auch abgeschlagene oder letztplatzierte Angebote die Rangfolge der Angebote in der Führungsgruppe verändern. Schlussendlich könne das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag auf diese Weise nicht erhalten. Die Auftraggeber hatten in diesem Fall aber alles richtig gemacht. Ermittelt wurde das ausführende Unternehmen nämlich über die Medianmethode. Hier bleiben extrem günstige und teure Angebote unberücksichtigt, so dass deren Einfluss auf den Durchschnitt ausgeschaltet wird.