Der Marktpreis im öffentlichen Preisrecht

Der Marktpreis im öffentlichen Preisrecht

Der Marktpreis im öffentlichen Preisrecht

  • Redaktion
  • 13 Min

Dieser Artikel wurde unserem Magazin SUPPLY entnommen.

"Drum prüfe, wer sich preislich bindet!"

Was ist ein Marktpreis – wann liegt ein solcher vor? Die Antwort auf diese Frage ist gar nicht so einfach. Spricht man die volkswirtschaftliche, vergaberechtliche oder preisrechtliche Definition an? So mag der eine sagen: „Ich realisiere doch ähnliche Preise wie meine Wettbewerber – also habe ich einen Marktpreis“. Der andere sagt: „Ich habe an einer Ausschreibung teilgenommen und diese gewonnen – das Ergebnis ist doch ein Marktpreis“.

Die Grundlagen der VO PR 30/53

Ganz so einfach ist es im Preisrecht nicht. Hier gilt die Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VO PR 30/53). Deren Grundidee war und ist, wie es in der Eingangsformel heißt, „marktwirtschaftliche Grundsätze auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens verstärkt durchzusetzen“. In seinen Einzelregelungen ist sie sowohl für den öffentlichen Auftraggeber als auch für den Auftragnehmer verbindlich und soll damit dazu beitragen, einseitigen Machtmissbrauch zu verhindern.
Gemäß VO PR 30/53 ist bei der Vereinbarung von Preisen also grundsätzlich Marktpreisen der Vorzug zu geben – preisrechtlich gesehen gibt es hier zwei Voraussetzungen:

          1. Die Marktgängigkeit der Leistung

          2. Die Verkehrsüblichkeit des Preises

Sehen wir uns zunächst die erste Voraussetzung an. Im Ersten Runderlass zur VO PR 30/53 vom 22.12.1953 heißt es dazu: „Marktgängige Leistungen sind Leistungen, die allgemein im wirtschaftlichen Verkehr hergestellt oder gehandelt werden.“ Und die Richtlinien für öffentliche Auftraggeber zur Anwendung der VO PR 30/53 in der Fassung vom 6.3.1961, geändert am 18.7.1962, stellen klar: „Die marktgängige Leistung muss von mehreren unabhängig im Wettbewerb stehenden Unternehmen angeboten werden. “Hier bleibt zwar die Frage offen, wie viel „mehrere“ Unternehmen es sein müssten. Denn wenn sich eine Ausschreibung von vornherein nur an einen eingeschränkten Bieterkreis richtet, es sich z. B. um eine freihändige Vergabe handelt, kann man nicht zwingend von marktgängigen Leistungen ausgehen. Wobei allerdings hier der bereits erwähnte Erste Runderlass aus 1953 sagt: „Freihändige Vergabe besagt nicht, dass Selbstkostenpreise anzuwenden sind.“

Insofern kommt es auf den Einzelfall an.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 13.04.2016, 8 C 2.15 festgestellt, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit ein Marktpreis im Sinne des Preisrechts (§ 4 VO PR Nr. 30/53) entstehen kann. Es ging hier auch auf die Frage ein, ob ein Marktpreis selbst dann entstehen kann, wenn ein Alleinstellungsmerkmal vorliegt bzw. die Leistung nur von der öffentlichen Hand nachgefragt wird.

Folgende Leitsätze enthält das besagte Urteil:

  1. Sofern kein besonderer Markt durch Ausschreibung geschaffen wurde, sind Leistungen im preisrechtlichen Sinne „marktgängig“, wenn sie auf einem bestimmten (allgemeinen) Markt bei tatsächlich wettbewerblicher Preisbildung wiederholt umgesetzt werden.

  2. Bei unvollkommenen Märkten, auf denen für gleiche Leistungen verschiedene Preise gezahlt werden, ist als preisrechtlich höchstzulässiger „verkehrsüblicher Preis“ einer marktgängigen Leistung der „betriebssubjektive Marktpreis“ anzusehen.

  3. „Betriebssubjektiver Marktpreis“ ist der Preis, den derselbe Anbieter für gleiche marktgängige Leistungen wiederholt bei tatsächlich funktionierendem Wettbewerb auf dem Markt durchsetzen konnte. Besteht ein Nachfragemonopol der öffentlichen Hand, genügt die wettbewerbliche Durchsetzung des Preises gegenüber dem einen öffentlichen Auftraggeber. 

Leitsatz 1 stellt also fest, dass auch außerhalb einer Ausschreibung ein Marktpreis entstehen kann, wenn der Auftragnehmer sein Produkt oder seine Leistung bereits mehrfach umgesetzt und damit sich gegen den Wettbewerb durchgesetzt hat. Ein besonderer Markt wird durch eine Ausschreibung geschaffen – auf einem allgemeinen Markt entsteht ein Marktpreis durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage für Produkte und Leistungen des alltäglichen Bedarfs. Die Leitsätze 2 und 3 widmen sich dem Preis und damit der oben erwähnten zweiten und ausschlaggebenden Voraussetzung für die Feststellung eines Marktpreises aus preisrechtlicher Sicht: der Verkehrsüblichkeit des Preises. Das kann ein objektiver Marktpreis sein, wenn es sich um einen einheitlichen identischen Preis für alle Anbieter und Nachfrager handelt. Dies ist jedoch höchst selten und eigentlich nur bei an Börsen gehandelten Güter und Leistungen denkbar. Also wird es sich beinahe regelmäßig um den sog. betriebssubjektiven Marktpreis handeln – und das ist der Preis, den ein bestimmter Auftragnehmer für seine Produkte und Leistungen allgemein und stetig am Markt erzielt – unabhängig von dem Preis der Wettbewerber.
Die Attribute allgemein und stetig meinen hier den identischen Preis – keine Preisspannen, keine Durchschnitts- und auch nicht nur ähnliche Preise. Und hier liegt der grundlegende Unterschied zur Definition des Marktpreises im Vergaberecht.

Zur Verdeutlichung ein kleines Beispiel:

Nehmen wir an, ein Bäcker A nimmt an einer Ausschreibung über Brötchenlieferung teil. Sein üblicher bisher erzielter Preis liegt bei 35 Cent pro Stück. Für die Ausschreibung bietet er seine Brötchen zum Stückpreis von 40 Cent an – seine Konkurrenten verlangen 45 Cent. Bäcker A erhält den Zuschlag – aus vergaberechtlicher Sicht gehen wir hier von einem Marktpreis aus. Preisrechtlich wird es komplizierter – hier müssen wir prüfen, ob die Marktgängigkeit der Leistung und die Verkehrsüblichkeit des Preises vorliegen. An der Marktgängigkeit der Leistung besteht kein Zweifel – der eigentlich verkehrsübliche Preis beläuft sich jedoch nicht auf 40, sondern nur auf 35 Cent. Dieses Beispiel zeigt auch, dass jeder einzelne Anbieter seinen eigenen betriebssubjektiven Marktpreis haben kann, der sich vom Preis der Wettbewerber unterscheidet. 

Aber zurück zu den Leitsätzen:

Leitsatz 3 hat die bisherige Praxis der preisrechtlichen Anerkennung eines Marktpreises relativiert. In der Vergangenheit wurde üblicherweise verlangt, dass man mehrere Umsatzakte, also realisierte Umsätze, mit mehreren – und zwar sowohl öffentlichen als auch privaten – Kunden nachweisen musste. Hier macht das Bundesverwaltungsgericht deutlich, dass ein Marktpreis auch bei Vorliegen eines Nachfragemonopols der öffentlichen Hand – also bei Fehlen von privaten Vergleichsaufträgen – vorliegen kann. Ausschlaggebend sei lediglich ein vorhandener Wettbewerb. Denn – so das Gericht – „nicht möglich ist ein Marktpreis jedoch, wenn diese Leistung von einem Angebotsmonopolisten erbracht wird“. Das ist tatsächlich eine etwas strengere Auslegung, denn in den Anmerkungen zu § 4 VO PR 30/53 heißt es: „Selbstkostenpreise dürfen nur vereinbart werden, wenn eine Mangellage vorliegt oder der Wettbewerb auf der Anbieterseite beschränkt ist und hierdurch die Preisbildung nach § 4 nicht nur unerheblich beeinflusst wird“ – bei einer nur unerheblichen Beeinflussung aus einem beschränktem Wettbewerb heraus könnte man ableiten, dass trotzdem ein Marktpreis möglich sei.

Marktpreisbildung bei Alleinstellungsmerkmalen

Das Verwaltungsgericht hat dann schließlich auch Stellung dazu genommen, unter welchen Umständen ein Marktpreis bei einem Alleinstellungsmerkmal entstehen kann – wenn es also im Vorfeld der Auftragserteilung keinen Wettbewerb gibt. Eine wettbewerbliche Durchsetzung der Preise könne sich auch daraus ergeben, dass diese Preise in einem bestimmten Vergleichszeitraum auch bei anderen, also früheren, leistungsgleichen Beauftragungen durch den selben Auftraggeber im Rahmen eines funktionierenden Wettbewerbs mit anderen Anbietern erzielt wurden. Diese Klarstellung ist vor allem für Leistungen, bei denen es nur einen sehr begrenzten Markt gibt entscheidend und wichtig – wie z. B. im Verteidigungsbereich oder bei speziellen IT-Leistungen und innovativen Lösungen.

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