Der Betriebs- oder Personalrat als Beschaffungsbremse – oder freie Bahn nach Plan?
Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Vergabeverfahren und Mitbestimmung: Betriebsrat oft unbeteiligt
Auch wenn öffentliche Auftraggeber den eigenen Anspruch an die Durchführung eines rechtssicheren Vergabeverfahrens haben: Wird dabei auch an die Einschaltung des Betriebs-/Personalrats gedacht? In der Praxis der Auftragsvergabe ist zu konstatieren, dass immer wieder arbeitsrechtliche Vorgaben zur Mitbestimmung des Betriebs- oder Personalrats übersehen werden und dieser nicht oder nicht ausreichend beteiligt wird. Solche Beteiligungsrechte können Beschaffungen aller Art betreffen, seien es Bau- oder Sanierungsmaßnahmen, Lieferleistungen wie Büromöbel, Computer, Straßenbahnen und Busse oder neue IT-Komponenten wie Software im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung bei der öffentlichen Hand. Eine fehlende Beteiligung kann dabei gravierende monetäre wie auch immaterielle Folgen zeitigen.
In welchen Fällen bestehen überhaupt Beteiligungsrechte?
Beteiligungsrechte des Betriebs- oder Personalrats in Form von Mitbestimmungsrechten oder Unterrichtung und Beratungsrechten bestehen insbesondere dann, wenn bei der Beschaffung soziale Angelegenheiten, die Gestaltung der Arbeitsplätze, der Arbeitsabläufe und der Arbeitsumgebung, der Aufgabenstellungen oder personelle Maßnahmen gegenüber den Mitarbeitern tangiert sind. Wird etwa eine neue Software eingeführt, kann diese – je nach Ausgestaltung – im rechtlichen Sinne dazu „bestimmt“ sein, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen. Ferner kann die Arbeit mit der neuen Software eine physische und/ oder psychische Belastung der Arbeitnehmer verursachen. Sie kann zu einer Arbeitsverdichtung führen oder einem anderweitig erhöhten Arbeitseinsatz – etwa aufgrund von etwaigen Mitarbeiterschulungen über die Anwendung der neuen Software. Ist dies der Fall, sind Beteiligungsrechte des Betriebs oder Personalrats zu beachten.
Vorfahrt missachtet: Was passiert, wenn der Betriebs- oder Personalrat nicht beteiligt wird?
Die Konsequenzen, die sich aus einer fehlenden Beteiligung der genannten Instanzen ergeben können, sind je nach Beteiligungsrecht verheerend. So kann – sofern eine entsprechende Beschaffung erfolgt und im Betrieb des Auftraggebers eingeführt worden ist – den Beschäftigten ein Leistungsverweigerungsrecht im Hinblick auf ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit der Beschaffung zustehen. Die Beschaffung kann als Ordnungswidrigkeit oder gar als Straftat mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden. Auch kann eine erfolgte Auftragsvergabe zu Fall gebracht werden mit der Konsequenz, dass sich der Auftraggeber horrenden Schadensersatzforderungen des (potenziellen) Auftragnehmers ausgesetzt sehen könnte und eine – etwa zur gesetzlichen Aufgabenwahrnehmung des Auftraggebers – dringend benötigte Beschaffung nicht eingekauft werden kann. Zudem wäre unter Umständen die neu beschaffte und bereits implementierte Software wieder zu deinstallieren, was nicht nur mit zahlreichen operativen und wirtschaftlichen Nachteilen und Aufwänden verbunden wäre, sondern auch zu einer großen Frustration bei den Beschäftigten führen kann. Auch stellt bei einem noch laufenden Vergabeverfahren eine fehlende Beteiligung des Betriebs- oder Personalrats keinen gesetzlichen Aufhebungsgrund dar, sodass sich der Auftraggeber bei einer dennoch erfolgenden Aufhebung schadensersatzpflichtig machen könnte.
Der Fahrplan: An welcher Stelle des Beschaffungsvorhabens ist der Betriebs- oder Personalrat zu beteiligen?
Für die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Betriebs- oder Personalrat spätestens zu beteiligen ist, ist für Beschaffungsvorhaben im Anwendungsbereich des Vergaberechts mitentscheidend, welche Vergabeverfahrensart gewählt wurde.
Aus arbeitsrechtlicher Sicht kommt es gerade für die Mitbestimmungsrechte darauf an, dass der Betriebs- oder Personalrat die jeweiligen geplanten Maßnahmen noch beeinflussen und mitgestalten kann.
Vergaberechtlich ist daher zunächst auf der einen Seite zwischen dem offenen wie auch nicht offenen Verfahren sowie zwischen der öffentlichen und der beschränkten Ausschreibung und auf der anderen Seite dem Verhandlungsverfahren oder dem wettbewerblichen Dialog bzw. der Verhandlungsvergabe zu unterscheiden. Da vergaberechtlich bei dem offenen und nicht offenen Verfahren sowie der öffentlichen und der beschränkten Ausschreibung nach Angebotsaufforderung keine Änderungen mehr an den Vergabeunterlagen, etwa der Leistungsbeschreibung, zulässig sind, muss eine erforderliche Beteiligung des Betriebs bzw. Personalrats bereits vor Beginn des Vergabeverfahrens abgeschlossen sein, da die Vergabeunterlagen inklusive der Leistungsbeschreibung seit der Vergaberechtsmodernisierung auch in zweistufigen Verfahren bereits mit der Auftragsbekanntmachung bereitzustellen sind. Denn nur in diesem Zeitraum hätte der Betriebs- oder Personalrat noch die Möglichkeit, auf den Inhalt der Leistungsbeschreibung Einfluss zu nehmen und im Rahmen des Beteiligungsverfahrens seine Vorschläge noch einzubringen.
Geradewegs zum Ziel: Handlungsempfehlungen für die Praxis
Der Auftraggeber ist gut damit beraten, bei seinen Beschaffungen bereits am Anfang der Vergabekonzeption und mit der Feststellung des Beschaffungsbedarfs dezidiert zu prüfen, ob Beteiligungsrechte des Betriebs- oder Personalrats bestehen können. Der Betriebs- oder Personalrat sollte sodann unabhängig von der konkret einschlägigen Vergabeverfahrensart nach der Identifizierung etwaiger Beteiligungsrechte direkt involviert werden. Hiermit kann gewährleistet werden, dass der Betriebs- oder Personalrat frühzeitig unter Wahrung seiner Rechte in das Beschaffungsvorhaben eingebunden und dieses hierdurch nicht verzögert wird oder gar hieran scheitert. Daher sollte hiermit nicht erst der spätestmögliche Zeitpunkt der Beteiligung abgewartet werden, um etwa im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens, bei welchem übrigens festgelegte Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien im Laufe des Verfahrens nicht mehr geändert werden dürfen, keine weiteren Verzögerungen durch notwenige Anpassungen der Vergabeunterlagen oder durch einen Dissens zwischen Auftraggeber und Betriebs- oder Personalrat zu riskieren. Unter Beachtung dieser Empfehlung wird sodann der Betriebs- oder Personalrat auch nicht zur „Beschaffungsbremse“, sondern er kann sogar zu einer besseren Akzeptanz des Beschaffungsgegenstands beitragen.