Das Geschäft mit der Sicherheit.
Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Besonderheiten im Vergaberecht
Aufträge aus den Bereichen Verteidigung und Sicherheit unterliegen im Vergaberecht besonderen Bestimmungen.
Panzer, Kampfflugzeuge, Munition, Fregatten – für die einen ist das die beeindruckende Welt des Militärgeräts, für andere ist es Kriegsgerät, das Menschen umbringen kann. Die Spannweite der unterschiedlichen Meinungen zu diesem Thema könnte nicht größer sein. Erst recht dann, wenn es um Rüstungsexporte ins Ausland geht, bei denen am Ende nicht immer klar ist, ob die Güter in Hände gelangen, in denen sie besser nicht wären.
Die Bundeswehr als größter Auftraggeber
Doch der Export ist nur das eine bedeutende Feld. Auch im Inland gibt es große Nachfrage in diesem Bereich. Größter Auftraggeber ist dabei naturgemäß die Bundeswehr. Hinzukommen aber weitere Behörden und Institutionen in Deutschland, die sicherheitsrelevante Güter beschaffen. Granaten oder militärische Transporthubschrauber werden dann zu fast herkömmlichen Beschaffungsgegenständen, deren Kauf festgelegten Regularien des Vergaberechts unterliegt – allerdings einem besonderen Vergaberecht. Ob ein Auftrag nach diesen besonderen Kriterien behandelt werden muss, legt Paragraf 104 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) fest.
VSVgV – eine Art „Vergaberecht light“
Es ist eine Art „Vergaberecht light“, das die Bundesrepublik resultierend aus der Richtlinie 2009/81 der Europäischen Union für diese Zwecke geschaffen hat: die „Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit“ (VSVgV). Sie wendet die Grundprinzipien der allgemeinen Vergabeverordnung (VgV) und des GWB wie fairer Wettbewerb oder Mittelstandsförderung zwar an, berücksichtigt aber die durchaus besonderen Bedingungen der Rüstungsbeschaffung in puncto Sicherheit und Verlässlichkeit. Ein zentraler Unterschied: Während im herkömmlichen Bereich das offene Verfahren die Regel ist, ist es in der VSVgV das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Ein offenes Verfahren ist aufgrund der besonderen Umstände gar nicht vorgesehen. „Es geht eben nicht, dass Ausschreibungsunterlagen bei einem Auftrag mit dem Vermerk ‚Verschlusssache‘ jedem öffentlich über die Vergabeplattformen zugänglich gemacht werden“, sagt Marc Gabriel, Fachanwalt für Vergaberecht bei der Berliner Kanzlei Baker McKenzie. In der Praxis ist es so, dass nach Bekanntmachung einer Ausschreibung die Unternehmen ihr Interesse bekunden können, dann ein Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird und eine bestimmte Anzahl von Firmen ein Angebot abgeben kann. Die Zuschlagserteilung am Ende des Verfahrens wiederum unterliegt der allgemeinen Vorgabe, dass das wirtschaftlichste Angebot zum Zuge kommen muss. Eine weitere Vergabeart, das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb, bildet auch in der VSVgV die Ausnahme.
Schwellenwerte und Auftragsgrößen
Unterschiedlich sind auch die Schwellenwerte, die bei Überschreiten eine europäische Ausschreibung des Auftrags erforderlich machen. Im Jahr 2017 liegen sie in der VgV bei 209.000 Euro, wenn es um Lieferaufträge geht, bei der VSVgV steigt der Wert auf 418.000 Euro. Der Wert hat in der Regel eher symbolischen Charakter:
Militärische Beschaffung ist eine teure Angelegenheit.
Ein Beispiel: Für drei Einsatzschiffe der Bundespolizei, für die der Zuschlag durch das Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums an die Fassmer- Werft in Berne bei Bremen erteilt wurde, hatte der Deutsche Bundestag zuvor eine Summe von 165 Mio. Euro bewilligt. Der geschätzte Wert in der Ausschreibung lag bei 138 Mio. Euro. Oder: Die Beschaffung und Umrüstung eines gebrauchten Airbus A321 für die Flotte der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums schlägt mit knapp 90 Mio. Euro zu Buche – die Lieferung von Ersatzteilen ist da schon miteingerechnet.
Spezielle Anforderungen an die Teilnehmer der VSVgV-Vergabeverfahren
Auch das Vergabeverfahren gestaltet sich im Detail ein wenig anders. Während beim Bau einer Schule eine möglichst ausführliche Leistungsbeschreibung schon bei der Bekanntmachung mitgeliefert wird, geht es bei Rüstungsaufträgen ein wenig zurückhaltender zu. Hier werden zunächst einige wenige Angaben öffentlich gemacht, sodass Unternehmen wissen, ob sie für einen Auftrag infrage kommen. Erst im weiteren Verlauf des Verfahrens, beispielsweise nach einer Reduzierung der Teilnehmerfirmen, geht es dann ins Detail. Zwar ist Vertraulichkeit auch bei herkömmlichen Vergabeverfahren ein wesentlicher Bestandteil, insbesondere im Bereich der VSVgV hat dies noch einmal mehr Gewicht. Hinzu kommen spezielle Vorschriften in Sachen Versorgungssicherheit. Befindet sich die Bundeswehr in einem Auslandseinsatz, dann muss gewährleistet sein, dass schnell und unkompliziert ein Ersatzteil oder die richtige Munition zur Verfügung steht. Deshalb benötigen Bieter für die Teilnahme an VSVgV-Vergaben eine besondere Eignung, was die Vertrauenswürdigkeit angeht. Die Prüfung obliegt dem Auftraggeber. Und: Bei Krisensituationen im Ausland ist das Vergabeverfahren noch einmal deutlich entschlackt, um eine schnelle Reaktion zu ermöglichen. Dafür ist in der VSVgV eindeutig definiert, wann von einer Krise gesprochen werden kann: nämlich dann, wenn in einem Staat der Europäischen Union oder in einem Drittland zum Beispiel „Leben und Gesundheit zahlreicher Menschen erheblich gefährdet“ oder „lebensnotwendige Versorgungsmaßnahmen für die Bevölkerung erforderlich“ sind.
3,5 Mrd. Euro Gesamtumsatz – im Jahr!
Einer der besonders großen Auftraggeber ist das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) mit Sitz in Koblenz und rund 8.500 Mitarbeitern. Die Beschaffer haben besonders oft mit Vergaben im VSVgV-Bereich zu tun. In der Regel laufen die militärischen Beschaffungen über die Büros des Bundesamts. Der Gesamtumsatz pro Jahr liegt bei rund 3,5 Mrd. Euro. Das ist selbst für den riesigen deutschen Beschaffungsmarkt ein gewichtiges Pfund, und damit dürfte das Bundesamt zu den größten öffentlichen Auftraggebern in Deutschland gehören. Mit dem Inkrafttreten der Richtlinie im Jahr 2009 gab es viele Veränderungen. „Für unser Haus war es eine große Herausforderung, sich darauf einzustellen“, betont Regierungsdirektor Matthias Mantey. Er leitet im Justiziariat des BAAINBw das Grundsatzreferat Vergaberecht. Vor der Richtlinie und der nationalen Verordnung wurden vielfach Ausnahmebestimmungen angewendet, die sich aus den Verträgen über die Zusammenarbeit in der Europäischen Union ableiten ließen und eine europaweite Ausschreibung obsolet machten. „Davon wurde häufig Gebrauch gemacht“, erinnert sich Rechtsanwalt Sebastian Conrad von der Kanzlei „HFK Rechtsanwälte“ in Berlin. Das Gebaren wollte die Europäische Kommission mit Blick auf ihr Streben nach mehr Wettbewerb in nahezu allen Bereichen beenden und führte besagte Richtlinie ein. Große Begeisterung weckte dies auf keiner Seite. Stellen mussten sich Industrie und Auftraggeber dem neuen Prozedere dennoch. „Jetzt sind wir ein gutes Stück weiter“, ergänzt Conrad.
Wirtschaftliche Vorteile
Obwohl die Umsetzung einer solchen Verordnung zu teils größerem Aufwand führt, bieten sich doch auch Chancen, was die wirtschaftliche Beschaffung angeht. „Die Preise bei Instandsetzungsleistungen sind beispielsweise durch die Schaffung einer Wettbewerbssituation teilweise um die Hälfte gesunken“, berichtet er. Auch im Umgang mit der VSVgV haben die Mitarbeiter in den vergangenen Jahren enorm hinzugelernt. Von den 14 Nachprüfungsverfahren im Jahr 2015 hat die Behörde neun für sich entscheiden können, lediglich drei gingen verloren, die anderen sind noch nicht entschieden. Im ersten Jahr nach Inkrafttreten war das Verhältnis genau umgekehrt. Doch nicht nur das Militär beschafft nach der VSVgV. Nicht umsonst trägt die Verordnung auch den Bereich der Sicherheit im Titel. So werden gleichermaßen Verschlusssachen-Aufträge der Polizeibehörden mit Sicherheitsrelevanz nach dieser Verordnung vergeben, beispielsweise im Bereich der inneren Sicherheit. Baut das Bundeskriminalamt ein neues Gebäude, könnte die Vergabe nach VSVgV erfolgen, auch Polizeifahrzeuge mit besonderen Ausstattungen oder Scanner am Flughafen können darunterfallen. Um dies festzulegen, ist eine Einzelfallprüfung des Auftraggebers nötig. Er muss entscheiden, welche Verordnung angewendet wird. Der Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin ist zum Beispiel vom Vergaberecht ausgenommen, weil es sich um nachrichtendienstliche Angelegenheiten handelt.
Kritische Stimmen: Fehlender Wettbewerb
Ob die Verordnung angesichts einer überschaubaren Anzahl von Firmen, die für Rüstungsaufträge überhaupt infrage kommt, tatsächlich zu mehr Wettbewerb führt, ist umstritten. Daniel Junker vom Bund der Steuerzahler in Berlin kritisiert den seiner Ansicht nach „fehlenden Wettbewerb“. Es gebe keine klare Trennung von Industrie- und Rüstungspolitik. Auch die Vergabeverordnung habe daran nichts geändert.
„Realistischerweise erzeugt auch eine Verordnung auf besonders engen Märkten keinen Wettbewerb“, macht Anwalt Sebastian Conrad deutlich. Immerhin, eine Verordnung schaffe es, dass der Wettbewerb intensiver werde und eine Teilnahme von Firmen ermögliche, die bisher auf dem deutschen Markt noch nicht tätig seien. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) mit Sitz in Berlin hat aktuell 53 Mitglieder – ein nach Zahlen überschaubarer Verband, die
Namen sind zum Teil umso beeindruckender: Daimler, Heckler & Koch, IBM Deutschland, Jenoptik, Krauss-Maffei.