Da kommt die Bahn ohne Züge

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Da kommt die Bahn ohne Züge

  • Redaktion
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Dieser Artikel wurde unserem Magazin SUPPLY entnommen.

ÖPNV-Wettbewerb: Verbesserungen trotz Startschwierigkeiten

Wettbewerb verbessert das Angebot im öffentlichen Personennahverkehr – so die These. Dabei zeigte sich, dass die Betreiber arge Startprobleme zu überwinden haben. Doch es gibt Lösungsansätze und die eine oder andere Stellschraube wird schon sachte betätigt.

Verkehrswende in Zahlen: Schiene stagniert, Straßen wachsen

Der Wettbewerb auf der Schiene hatte im Jahr 2020 „Jubiläum“. 25 Jahre lang existiert er schon. Im Jahr 2000 gehörten Strecken im Weser-Ems-Bereich in Niedersachsen zu den ersten Linien, die nicht mehr von der DB betrieben wurden. Die gesetzlichen Bestimmungen verlangen einen europaweiten Wettbewerb. Aufgrund langer Vertragslaufzeiten mit der Deutschen Bahn kam es erst im Laufe der Nullerjahre und später zu einem nennenswerten Umfang an Ausschreibungen. Heute sind sie Normalität. Allerdings wird der Kuchen nicht größer, denn das Streckennetz wächst seit 1994 nicht mehr. Es umfasste damals noch 41000 Kilometer, im Jahr 2020 sind es etwa 33000 Kilometer. Verbesserungen gibt es deshalb vor allem über Taktverdichtungen. Und noch etwas ist auffällig: das Straßennetz in Deutschland ist seit 1994 um 250000 Kilometer verlängert worden, im Schnitt um 192 Kilometer pro Woche. Die Schiene erreicht im selben Zeitraum einen Wert von 1,3 Kilometer. Wer dem ÖPNV und dem Wettbewerb eine tragende Rolle beim Klimaschutz zuordnet, kommt spätestens bei solchen Zahlen ins Zweifeln.

Mit eigenen Fahrzeugen Engpässe vermeiden

Betraut mit der „Bestellung“ des ÖPNV-Verkehrs sind die Bundesländer. Sie legen fest, welche Strecken in welchem Umfang bedient werden sollen. Sie geben auch den Fahrzeugstandard vor. „Für die Fahrgäste wurden deutliche Qualitätssteigerungen erreicht“, stellt Ralf Hoopmann, Leiter der Stabsstelle Ausschreibungsmanagement bei Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH (LNVG), fest. „Gleichzeitig konnten wir erhebliche Mitteleinsparungen erzielen, die wir in neue Fahrzeuge, Bahnsteigmodernisierungen, Streckenausbauten und Fahrplanausweitungen investiert haben“, ergänzt er. Aufhorchen lassen die Aussagen, weil die Ausschreibungen in Niedersachsen keine Fahrzeuge beinhalten. Stattdessen betreibt das Bundesland einen eigenen Fahrzeugpool mit 383 Fahrzeugen. Damit sei man bundesweit Vorreiter gewesen. Die LVNG kann mit diesem Pool zumindest verlässlich planen und umgeht damit mögliche Engpässe, wenn Auftragnehmer drohen, an der Fahrzeugbeschaffung zu scheitern. In vielen Bundesländern sind die Fahrzeuge aber Teil der Ausschreibung. Mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen glaubt, dass eine umfangreichere Standardisierung der Fahrzeuge „sehr helfen“ würde. „Dass noch immer verhältnismäßig kleine Flotten in ‚Manufakturarbeit‘ neu entwickelt werden müssen, macht sie anfällig, zumal bei den Fahrzeugherstellern oftmals auch die Manpower fehlt“. Damit verweist Stoffregen auf die Vielzahl an technischen Störungen bei der Inbetriebnahme von neuen Fahrzeugen. Die Hersteller dürften zudem keine Versprechungen machen, die sie nicht halten könnten und müssten frühzeitig anzeigen, wenn die Wagen nicht rechtzeitig fertig würden. Dann könne sich der Betreiber rechtzeitig um Leihfahrzeuge kümmern.

„Für einen begrenzten Zeitraum mit anderen, älteren Fahrzeugen zu fahren, ist allemal besser als gar nicht zu fahren.“

In Baden-Württemberg hebt man vor allem auf den größeren Finanzierungsspielraum, den das Land als Besteller der Verkehre durch den Wettbewerb erzielt. So sei der Zuschussbedarf der Eisenbahnverkehrsunternehmen pro gefahrenen Kilometer in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Ein Effekt, den viele der Auftraggeber beschreiben. Auch beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr spricht man von einer „verbesserten Qualität“ und „wirtschaftlichen Konditionen“ durch die Ausschreibungen. So sei der Wagenpark einmal komplett erneuert worden, die gefahrenen Zugkilometer haben sich von anfangs 42,5 Millionen auf 49,5 Millionen ausgeweitet, die im kommenden Jahr erreicht werden.

Teilnahme nur mit genügend Personal

Insgesamt 16 Verkehrsverträge managt die Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (Nasa). Allerdings teilen sich DB Regio und Abellio den größten Teil dieses Kuchens, so Nasa-Sprecher Wolfgang Ball. Er kann aus den vergangenen Jahren berichten, dass die Betriebsaufnahmen „relativ reibungslos“ vonstattengegangen seien. Auch in Sachsen-Anhalt gab es in der Vergangenheit einen Fall mit Schwierigkeiten. Es handelt sich dabei um den Betrieb des gesamten Dieselnetzes im Bundesland. Der Betreiber Abellio hatte zum einen mit Baustellen zu tun, die den Ablauf massiv störten, zum anderen aber auch mit fehlendem Personal. Die Folge: auf einer anderen Strecke wurde ein vollständiger Schienenersatzverkehr eingerichtet, um den Betrieb im restlichen Dieselnetz zu sichern. Überhaupt scheint es grundlegend eine Frage von genügend Personal zu sein, ob eine Ausschreibung am Ende als erfolgreich bewertet werden kann. Deshalb werden Vorgaben wie eine bestimmte Ausbildungsquote von einigen Auftraggebern mittlerweile in die Ausschreibung mit aufgenommen. Wer sie nicht nachweisen kann, könnte vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. In Niedersachsen hat die Landesnahverkehrsgesellschaft eine jährliche Quote eingeführt, ebenso muss ein Reservepersonal zu bestimmten Tageszeiten vorgehalten werden. Wer ein Angebot abgibt, muss gleichzeitig ein tragfähiges Personalkonzept mit einreichen, das bis Betriebsaufnahme jährlich aktualisiert werden muss. Was aktuell noch nichts daran ändert, dass laut der Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage im Landtag, in ganz Niedersachsen rund 7900 Verbindungen zwischen Januar und Juni ausgefallen sind. In mehr als zwei Fünfteln der Fälle war der Mangel an Lokführern der Grund. 

Warten auf die Bahn

Mofair-Geschäftsführer Stoffregen nimmt ebenfalls die Betreiber in die Pflicht: „Alle Unternehmen müssen jetzt über Bedarf ausbilden und tun das auch“. An anderer Stelle versuchen Bundesländer selbst, aktiv zu werden. Beispiel Baden-Württemberg: Dort läuft ein Projekt mit Geflüchteten, die zu Fahrzeugführer ausgebildet werden. Gleichzeitig hatte das Verkehrsministerium den Versuch unternommen, per Ausschreibung einen Dienstleister zu finden, der einen Pool an Fahrzeugführern vorhalten sollte – inklusive Zugriff durch die Betreiber. Das Ergebnis der Ausschreibung: ein wirtschaftlich tragfähiges Angebot ging laut Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg nicht ein. Also verhandelt das Ministerium direkt mit den Unternehmen und den Personaldienstleistern, um den Pool zu bilden. Krankheitsausfälle sollen dann nicht mehr dazu führen, dass bestimmte Verbindungen gleich ganz ausfallen.

509 Millionen Euro durch Trassenerlöse

Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) begrüßt zwar den Wettbewerb auf der Schiene. Dies könne zu günstigeren Preisen, mehr Innovation und besserem Service führen. „Doch echter Wettbewerb bedarf der Chancengleichheit und die haben wir nicht“, sagt GDL-Sprecher Stefan Mousiol. Aufgrund der fehlenden Trennung von Infrastruktur- und Transportgesellschaft bei der DB bestünden erhebliche Wettbewerbsdefizite. „Die Infrastruktur muss von der Pflicht der Gewinnerzielung befreit werden, denn sie ist Daseinsvorsorge und kein Gewinnbringer“, betont er. Tatsächlich lag der Gewinnanteil der DB durch den Netzbetrieb bei über der Hälfte des Konzerngewinns. Allein 509 Millionen Euro hat die DB Netz AG im vergangenen Jahr über Trassenerlöse eingenommen. Dabei gibt es unter den Wettbewerbern durchaus Skepsis, was den Zuschuss von elf Milliarden Euro aus dem Klimapaket der Bundesregierung an die DB für Infrastrukturmaßnahmen angeht. Vor allem wird im Wettbewerbs-Report in Zweifel gezogen, ob tatsächlich die gesamte Summe in diesen Bereich fließen wird oder – mangels Kontrolle des aus Sicht der Wettbewerber unübersichtlichen Bahnkonzerns – auch andere Felder im Konzern davon profitieren. Und damit den Wettbewerb verzerren. 

Ausschreibungen im Schienenverkehr

Wenn ein Unternehmen wie Abellio darüber nachdenkt, ein Angebot für eine Ausschreibung abzugeben, dann geht es unter anderem um die Frage, ob auf einer Verbindung aus historisch bedingten Gründen ein anderes Unternehmen – in der Regel die DB Regio – einen Startvorteil hat, der nicht in anderen Bereichen zu kompensieren sei, erläutert Abellio-Sprecher Thumann. Oder: gibt es einen strategischen Ansatz, sich für eine Strecke zu bewerben? Sind Synergien möglich? Obwohl der Start im Stuttgarter Netz holprig war, ist man bei Abellio zuversichtlich. „Sobald diese ‚Startschwierigkeiten‘ beseitigt sind, profitieren unsere Fahrgäste von einem verbesserten Serviceangebot sowie modernen Fahrzeugen“. In den Netzen in Nordrhein-Westfalen und Mitteldeutschland erziele man Bestnoten bei den Kundenbefragungen. Allerdings wird es noch Monate dauern, bis alle Fahrzeuge geliefert werden.

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