Änderung von Auftragsbedingungen vor Zuschlagserteilung

Änderung von Auftragsbedingungen vor Zuschlagserteilung

Änderung von Auftragsbedingungen vor Zuschlagserteilung

  • Redaktion
  • 8 Min

Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.

Nicht selten erkennen Auftraggeber erst kurz vor Auftragserteilung, dass die ursprünglich ausgeschriebenen Auftragsbedingungen in dem einen oder anderen Punkt an die tatsächlichen Begebenheiten angepasst werden müssen. Die Änderungen erfolgen dann exklusiv in Abstimmung mit dem für den Zuschlag ausgewählten Bieter, ohne dass der übrige Bieterkreis Kenntnis und damit die Möglichkeit erlangt, die unzulässigen Nachverhandlungen zu rügen.

Wirksamkeitsgrenzen modifizierter Aufträge

Fraglich ist, welche Wirksamkeitsgrenzen für derart modifizierte Aufträge gelten. Während § 132 GWB den rechtlichen Umgang für Änderungen des Beschaffungsgegenstandes nach erfolgtem Vertragsschluss regelt, gibt es für Änderungen zwingender Vorgaben vor Zuschlagserteilung keine vergleichbare Vorschrift. Teilweise zieht die Rechtsprechung daher die Regelung des § 132 GWB analog heran, mit der Folge, dass bei wesentlichen Änderungen der Vergabeunterlagen während des Verfahrens der daraufhin erteilte Auftrag als unzulässige De-facto-Vergabe gewertet und demnach als von Beginn an unwirksam erachtet wird (so VK Südbayern, Beschl. v. 18.11.2014 – Z3-3-3194-1-40-09/14). Das OLG Celle stellte in einem Beschluss vom 24.10.2019 (13 Verg 9/19) klar, dass bei Abweichungen von Vergabebedingungen vor Vertragsschluss ein Analogieschluss zu § 132 GWB nicht in Betracht kommt.

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb die Durchführung von Rettungsdienstleistungen europaweit im offenen Verfahren aus. Die Leistungen sollten von einem eigenen geeigneten Standort aus erbracht werden, der sich aus einsatztaktischen Gründen innerhalb eines in den Vergabeunterlagen genau definierten Gebietes befinden musste. Ein Bieter rügte diese Standortvorgabe, da er innerhalb des vorgegebenen Standorts keine geeignete Immobilie gefunden hat. Er bot alternativ eine Immobilie 150 Meter außerhalb des bestimmten Gebietes an. Der Auftraggeber half der Rüge ab, ohne allerdings die übrigen Bieter über die geänderten Vergabebedingungen zu informieren. Der Auftraggeber erteilte dem rügenden Bieter mit dem abweichenden Angebot den Auftrag. Ein Mitbieter erachtete den Zuschlag wegen wesentlicher und intransparenter Änderung der Vergabeunterlagen für unwirksam. So hätte der Mitbieter bei Kenntnis von der Gebietserweiterung gleichfalls einen alternativen Standort anbieten können. Dies hätte dem Mitbewerber die Abgabe eines wirtschaftlicheren Angebots ermöglicht, so dass es hinreichend wahrscheinlich sei, dass er in diesem Fall den Zuschlag erhalten hätte müssen. Der Nachprüfungsantrag des Mitbewerbers bei der Vergabekammer Niedersachsen (Beschl. v. 7.8.2019 – VgK-19/2019) hatte keinen Erfolg. Über die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde hatte dann der Vergabesenat des OLG Celle zu entscheiden.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht wies die sofortige Beschwerde zurück. Der Zuschlag sei wirksam, obwohl der Auftraggeber die geänderten Vergabebedingungen nicht allen Bietern mitgeteilt habe. Insbesondere sei der Auftrag nicht als eine unwirksame Defacto- Vergabe gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB zu qualifizieren. Diese Vorschrift setze voraus, dass ein Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung erfolgt sei. Eine Bekanntmachung sei vorliegend aber gerade erfolgt. Die Unwirksamkeit des Auftrags bzw. eine Pflicht zur Neuausschreibung ergebe sich auch nicht aus § 132 Abs. 1 Satz 1 GWB. Die Vorschrift sei nach ihrem Wortlaut unmittelbar nur auf Änderungen eines Auftrags „während der Vertragslaufzeit“ anwendbar, was zumindest erfordere, dass die formale Zuschlagserteilung bereits erfolgt und damit das ursprüngliche Vergabeverfahren abgeschlossen sei. Auch eine analoge Anwendung des § 132 Abs. 1 GWB komme nicht in Betracht. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für einen Analogieschluss lägen nicht vor. Es fehle sowohl an einer vergleichbaren Interessenlage als auch an einer planwidrigen Regelungslücke. Gegen eine vergleichbare Interessenlage spräche insbesondere die gesetzgeberische Wertung, wie sie in § 168 Abs. Satz 1 GWB zum Ausdruck komme. Danach kann ein einmal wirksam erteilter Zuschlag nicht mehr aufgehoben werden. Der nationale Gesetzgeber habe damit das Interesse der Vertragsparteien an Investitionssicherheit und das Vertrauen in den Bestand abgeschlossener Verträge für den Regelfall höher bewertet als das Interesse unterlegener Bieter an der Rückabwicklung oder Beendigung eines unter Verstoß gegen Vergaberecht abgeschlossenen Vertrags.

Verfahrensverstöße und Vertragsabschluss

Ausgehend hiervon stünden Verfahrensverstöße einem wirksamen Vertragsschluss grundsätzlich nicht entgegen, selbst wenn es sich um grobe Verstöße handelt. Die hiernach durch § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB mit der Anknüpfung an den Vertragsschluss bestimmte Zäsur führe zu einer klaren Differenzierung zwischen dem Stadium des laufenden Vergabeverfahrens, in dem betroffene Bieter Primärrechtsschutz erlangen können, und dem Stadium der Vertragsdurchführung, in dem die Bieter regelmäßig auf die Geltendmachung von Sekundäransprüchen beschränkt seien und Primärrechtsschutz grundsätzlich nur im Falle einer Änderung des geschlossenen Vertrags beanspruchen können. Diese Unterscheidung garantiere Rechtssicherheit. Eine Ausdehnung des Primärrechtsschutzes auch auf Fälle der (intransparenten) Abweichung von Vergabebedingungen vor Vertragsschluss stelle diese Rechtssicherheit in Frage. Des Weiteren fehle es auch an einer planwidrige Regelungslücke. Soweit im Einzelfall ein Bedürfnis bestehe, einen geschlossenen Vertrag wegen Verstößen gegen das Vergaberecht als unwirksam zu behandeln, die zeitlich vor Vertragsschluss erfolgten, biete die Regelung des § 138 BGB eine sachgerechte Möglichkeit der Sanktionierung.

Nach § 138 BGB ist ein Vertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn der Auftraggeber und ein Bieter mit der Absicht zusammenwirken, einen Dritten zu schädigen.

Zudem müssen sie durch ihr Zusammenwirken massiv und in wettbewerbswidriger Weise gegen das Vergaberecht verstoßen. Nach Auffassung des Vergabesenats liegen im vorliegenden Fall hierfür aber keine Anhaltspunkte vor.

Dogmatische Nachvollziehbarkeit und praktische Bedenken

Die Entscheidung des OLG Celle ist dogmatisch nachvollziehbar. Der Rechtsanwender legt allerdings seine Stirn in Falten. Sein Bauchgefühl sagt ihm, dass es – ungeachtet dogmatischer Erwägungen – aus rechtlicher Sicht keinen Unterschied machen kann, ob (a) der Auftraggeber das ursprüngliche Angebot im Vorfeld der Auftragserteilung mit dem Bieter zunächst nachverhandelt und dieses modifizierte Angebot anschließend bezuschlagt oder (b) der Auftraggeber das Angebot zunächst bezuschlagt und im unmittelbaren Anschluss daran die Auftragsbedingungen nachträglich ändert. In beiden Fällen liegt schlussendlich ein Vertrag vor, der mit dem geänderten Inhalt nicht Gegenstand der ursprünglichen Ausschreibung war. Die betroffenen Mitbewerber werden in beiden Fällen in gleichem Maße benachteiligt. Allein der Zeitpunkt der Vornahme der Auftragsänderung rechtfertigt für sich genommen eine unterschiedliche rechtliche Behandlung jedenfalls nicht. Das OLG Celle sieht dies allerdings anders. Während bei Änderungen der Auftragsbedingungen vor Zuschlagserteilung (siehe oben Fallvariante a) erst die Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB die Wirksamkeitsgrenze für den veränderten Auftrag darstellen soll, sollen Modifikationen nach bereits erfolgtem Vertragsschluss (sieh oben Fallvariante b) bereits dann eine Neuausschreibungspflicht begründen, wenn sich der Auftrag gemäß § 132 GWB wesentlich geändert hat, ohne dass es hierbei auf eine verwerfliche Drittschädigungsabsicht von Auftraggeber und Unternehmen – wie dies § 138 BGB voraussetzt – ankommt. Ungeachtet der dargelegten rechtlichen Bedenken, spricht die Entscheidung des OLG Celle denjenigen Auftraggebern ungewollt eine Handlungsempfehlung aus, die nach Eingang der Angebote einen zwingenden Anpassungsbedarf ihrer Auftragsbedingungen feststellen. Denn diese Auftraggeber werden erforderliche Auftragsanpassungen künftig bereits vor Zuschlagserteilung mit den jeweiligen Bestbietern nachverhandeln und somit die vermeintlich rechtssichere Vorgehensweise wählen. Aber Vorsicht! Der Beschluss des OLG Celle begründet keinesfalls neue Handlungsspielräume für das unverändert geltende Nachverhandlungsverbot.

Auswirkungen in der Praxis

Die streitbare Entscheidung des OLG Celle dürfte in der Praxis ohnehin keine allzu großen Auswirkungen haben. So ist davon auszugehen, dass die unterschiedlichen Wertungsmaßstäbe des § 138 BGB und § 132 GWB bei Auftragsänderung vor Zuschlagserteilung nur in Einzelfällen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen werden. Denn wesentliche Auftragsänderungen gemäß § 132 GWB werden oftmals auch mit einem bewussten, den übrigen Wettbewerb massiv schädigenden Verhalten der Beteiligten im Sinne des § 138 BGB einhergehen. Umgekehrt dürften kleinere Auftragsänderungen, die die Wesentlichkeitsgrenze des § 132 GWB nicht überschreiten, – selbst wenn sie willentlich vorgenommen wurden – nur selten als massives wettbewerbswidriges und damit sittenwidriges Zusammenwirken zwischen Auftraggeber und Bieter im Sinne des § 138 BGB einzustufen sein. Auch das OLG Celle gelangt in dem zu entscheidenden Fall nach beiden Wertungsmaßstäben zu dem gleichen Ergebnis. So hat der Vergabesenat vorsorglich die streitige Vertragsanpassung zusätzlich anhand des Wesentlichkeitsmaßstabs gemäß § 132 GWB überprüft und auch nach dieser Vorschrift dessen Wirksamkeit festgestellt.

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