Am Ende gewinnt der Billigste! Oder?
Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Bekommt das günstigste Angebot tatsächlich immer den Zuschlag?
Der Vorwurf, dass stets der billigste Anbieter zum Zuge kommt, ist nicht erst seit der Vergaberechtsreform im Jahr 2016 völlig ungerechtfertigt. Denn bereits in der ersten VOL/A aus dem Jahr 1936 findet sich die Regelung, dass der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen ist. Dieses kann selbstverständlich nach dem Angebotspreis ermittelt werden. Doch selbst in diesem Fall muss das billigste Angebot noch lange nicht „billig” im Sinne von „schlechter Qualität” bedeuten.
Zuschlagsentscheidung und Qualitätsanforderungen
Wichtig ist, dass sich eine Zuschlagsentscheidung nur nach dem Preis auf die Fälle beschränken sollte, bei denen es um die Ausschreibung von standardisierten Leistungen bzw. um Ausschreibungen geht, bei denen die zu beschaffende Leistung sehr detailliert beschrieben werden kann. Denn eine solche Ausschreibung bedeutet, dass die Qualität der zu liefernden Leistung einzig über die Leistungsbeschreibung vorgegeben und letztendlich durch Ausschlusskriterien beschrieben und gesteuert wird. Die zu wertenden Angebote müssen alle Ausschlusskriterien erfüllen. Wird nur ein Ausschlusskriterium nicht erfüllt, führt dies zum zwingenden Ausschluss des betreffenden Angebots. Auf der anderen Seite, und das gilt es zu bedenken, kann dabei aber auch ein Mehr an Leistung nicht honoriert werden.
Mögliche Herausforderungen
Je weniger detailliert die Leistungsbeschreibung ist, umso stärker sind die zu erwartenden Qualitätsunterschiede der Angebote, und umso weniger sind die Angebote sinnvoll vergleichbar. Am Ende bestünde bei einer reinen Preisorientierung die Gefahr, dass der Auftraggeber den Zuschlag auf ein qualitativ schlechtes, aber billiges Angebot erteilen muss. Und dann könnte tatsächlich die folgende, ebenfalls sehr verbreitete These zutreffen:
Billig beschafft = am Ende mehr bezahlt?
Auch dieser pauschale Vorwurf ist unberechtigt. Ein Auftraggeber ist keineswegs verpflichtet, bei einem Vergabeverfahren billigeren Lösungen den Vorzug zu geben und die Folgekosten unberücksichtigt zu lassen. Denn Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen können auch durch sogenannte Kostenbetrachtungen erfolgen. Im Gegensatz zur reinen Bewertung der Anschaffungskosten (Preisbewertung) können bei einer solchen Vorgehensweise auch Folgekosten/Betriebskosten mitberücksichtigt werden. Diese Kostenbetrachtungen sind unter den Begriffen Lebenszykluskosten, Vollkostenbetrachtung oder Total Cost of Ownership (TCO) bekannt. Die Mindestanforderungen werden auch hier als Ausschlusskriterien formuliert. Wie bei einer reinen Preisbewertung müssen die zu bewertenden Angebote jedes dieser Kriterien erfüllen. Den Zuschlag erhält dann das Angebot mit den niedrigsten Gesamtkosten. Aus Gründen der Transparenz sind allerdings sowohl die Berechnungsmethode als auch die von den Bieterunternehmen für die Berechnung zu liefernden Informationen in der Auftragsbekanntmachung bzw. in den Vergabeunterlagen zu veröffentlichen. Hinzu kommt, dass bei der Kostenbetrachtung realistische Annahmen zu treffen sind.
Relevant sind Preis und Leistung
Mittlerweile findet sich im Vergaberecht die Definition, dass die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs- Verhältnisses erfolgt. Dieses kann dabei als die Angemessenheit eines Preises oder der Kosten im Vergleich zur Leistungsstärke des Angebots interpretiert werden. Zudem beantwortet es die Frage, welches Mehr an Leistung welches Mehr an Preis rechtfertigt. Der Begriff des Preis-Leistungs-Verhältnisses beschränkt sich dabei im Übrigen nicht nur auf Formeln, die einen Quotienten aus Preis und Leistung eines Angebots betrachten (Ferber in: Müller-Wrede, Malte (Hrsg.). VgV/UVgO-Kommentar, § 58 Abs. 2 S. 1 VgV). Soll neben dem Preis bzw. den Kosten auch die Leistungsstärke der Angebote Berücksichtigung finden, müssen die einzelnen Leistungskriterien der Angebote auf Basis einer Notenskala bewertet werden. Diese Notenskala sollte so gewählt werden, dass eine vernünftige Differenzierung bei der Bewertung der Angebote möglich ist.
Struktur dank Bewertungsmatrix
Durch eine Bewertungsmatrix können die verschiedenen Leistungskriterien, deren Gewichtung und deren Benotung in einer strukturierten Form dargestellt werden. Die Bewertungsmatrix dient damit der Betrachtung und Bewertung der Leistungsstärke eines Angebots und liefert als Ergebnis eine Leistungspunktzahl für die Angebote. Da bei einer Bewertung von Preis und Leistung die Angebotspreise in Euro vorliegen und die Leistungsstärke der Angebote in Leistungspunkten, stellt sich die Frage, welches Mehr an Leistung welches Mehr an Preis rechtfertigt. Um dies objektiv beantworten zu können, muss das Preis-Leistungs-Verhältnis durch eine mathematische Formel, die Zuschlagsformel einer Bewertungsmethode, dargestellt werden. Diese berücksichtigt die Angebotspreise bzw. eine Angebotsgesamtkostenbetrachtung in Euro sowie die Leistungsstärke (Qualität, Nachhaltigkeit, Innovation etc.) der Angebote in Leistungspunkten. Daraus ermittelt die Zuschlagsformel eine Kennzahl, die die Wirtschaftlichkeit (Preis-Leistungs-Verhältnis) des Angebots repräsentiert. Für die Zuschlagsbewertung spielen sowohl die Notenskalen der Zuschlagskriterien als auch die Bewertungsmethode (Zuschlagsformel) immer eine Rolle. Daher ist es elementar, diese zusammen zu betrachten.
Welche Bewertungsmethode?
Der Auftraggeber muss im Vorfeld eine bewusste Entscheidung für eine Bewertungsmethode treffen. Die Frage, welche Methode grundsätzlich zu empfehlen wäre, lässt sich dabei nicht pauschal beantworten. Es gibt eine große Anzahl von verschiedenen Bewertungsmethoden, die ihren Eigenschaften nach in vier Bewertungsklassen klassifiziert werden können (Ferber. Bewertungskriterien und Bewertungsmatrizen im Vergabeverfahren, S. 119 ff.). Bei einer Gewichtung von 50 Prozent Preis und 50 Prozent Leistung empfiehlt sich die Anwendung der einfachen Richtwertmethode, bei der eine Kennzahl zur Leistungs-Preis-Bewertung aus dem Quotienten der Leistungspunkte des Angebots und dem Angebotspreis berechnet wird: Kennzahl = Leistungspunkte / Angebotspreis. Das Angebot mit der größten Kennzahl erhält den Zuschlag. Überall dort, wo der Wunsch bzw. die Notwendigkeit bestehen, Preis und Leistung unterschiedlich bei der Zuschlagsbewertung zu gewichten, empfiehlt sich die Anwendung der linearen Interpolationsmethode mit den beiden Stützstellen „Günstigster Preis“ und „Zweifaches des günstigsten Preises“ bzw. die Anwendung der Preisquotientenmethode (Ferber in: Müller-Wrede, Malte (Hrsg.). VgV/UVgO-Kommentar, § 58 Abs. 2 S. 1 VgV). Einige in der Vergabepraxis vorkommende Methoden sollten nach Ansicht des Autors keine Anwendung finden, wie z. B. die einfache gewichtete Richtwertmethode, die lineare Interpolation mit Preisspanne, die lineare Interpolation um einen Median bzw. Mittelwert sowie diverse Rangstufenmethoden. Diese Methoden führen in der Regel zu deutlichen Bewertungsverzerrungen.
Keine Zuschlagsformel ist per se „narrensicher“
Beachten sollte man allerdings, dass grundsätzlich jede Zuschlagsformel einer Bewertungsmethode ihre Schwächen hat und in manchen Fällen nicht zum wirtschaftlich sinnvollsten Angebot führt. Problematisch sind hierbei in vielen Fällen sehr billige und leistungsschwache Angebote bzw. sehr leistungsstarke, aber sehr teure und damit über dem Budget liegende Angebote. Diese bekannten Schwächen der Bewertungsmethoden können allerdings durch geeignete Randbedingungen vermieden werden. So schützt die Angabe von Mindestleistungspunktzahlen vor zu leistungsschwachen Angeboten und wirkt dabei wie eine Filterfunktion, um Mindestanforderungen an die Leistungsstärke der Angebote vorzugeben. Um sich vor zu „teuren“ Angeboten zu schützen, die zwar ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis
Vergabe ist ein bisschen wie Mathematik
Durch diese Begrenzungen wird durch den öffentlichen Auftraggeber ein Bereich vorgegeben, in dem jedes Angebot, das in diesem Bereich liegt, ein wirtschaftlich sinnvolles Angebot darstellt. Aus der Perspektive der Schulmathematik würde man sagen: Der Definitions- und Wertebereich wird eingeschränkt, da die betrachtete Funktion nur in diesem beschränkten Bereich das erwartete Verhalten aufweist. Analog ist dies auf die Zuschlagsformeln der Bewertungsmethoden anzuwenden: Durch geeignete Randbedingungen schränkt man den Bereich so ein, dass das gewünschte und erwartete Verhalten erreicht werden kann.