Abgabe mehrerer Hauptangebote ist zulässig!
Dieser Artikel wurde aus unserem Magazin SUPPLY entnommen.
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 29. November 2016, X ZR 122/14, Folgendes entschieden:
Sendet ein Bieter auf elektronischem Wege ein Hauptangebot und mit gewissem zeitlichem Abstand (hier: etwa zwei Stunden) kommentarlos eine weitere als Hauptangebot erkennbare Offerte, ist dies regelmäßig, wenn nicht besondere Umstände auf einen abweichenden Willen des Absenders hindeuten, dahin zu verstehen, dass das spätere Angebot an die Stelle des früher eingereichten treten soll, nicht aber, dass beide als Hauptangebot gelten sollen.
Hintergrund des Falls
Im Rahmen einer Ausschreibung von Tischlerarbeiten gab ein Bieter zwei Angebote ab, die sich inhaltlich in der Einbindung eines Nachunternehmers sowie in der Zuordnung zweier Einheitspreise zu bestimmten Positionen des Leistungsverzeichnisses unterschieden und dadurch geringfügig unterschiedliche Gesamtpreise aufwiesen. Die Angebote reichte der Bieter kurz hintereinander bei der Vergabestelle ein.
Entscheidung über Schadensersatzprozess
Nachdem die Vergabestelle die Ausschreibung wegen einer vermeintlichen Kostenüberschreitung aufgehoben hatte, musste sich der Bundesgerichtshof im Zuge des von dem Bieter angestrengten Schadensersatzprozesses u. a. mit der Frage befassen, ob die Abgabe mehrerer Hauptangebote durch denselben Bieter zulässig ist. Der Bundesgerichtshof hat die Frage im positiven Sinne beantwortet.
Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote
Soweit sich die Angebote nicht nur im Preis, sondern auch hinsichtlich der angebotenen Leistung unterscheiden, ohne dabei als Nebenangebot eingestuft werden zu können, ist eine Abgabe mehrerer Hauptangebote zulässig. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass jedes Angebot für sich genommen alle Anforderungen erfüllt, die an es zu stellen sind, und insbesondere mit der vom Auftraggeber formulierten Leistungsbeschreibung übereinstimmt. Ist dies gewahrt, so begründet die Zulassung mehrerer Hauptangebote desselben Bieters keine Wettbewerbsverzerrung, da sich alle Angebote innerhalb des zulässigen Rahmens halten.
Risiken und Gefahr der Manipulation
Auch die Gefahr einer Manipulation hält der Bundesgerichtshof nicht für ausreichend, um der Abgabe mehrerer Hauptangebote die Zulassung zu versagen. Zwar ermöglicht es die Nachforderungspflicht des Auftraggebers bei unvollständigen Angeboten (§ 16a EU VOB/A) dem Bieter u. U., gezielt unvollständige Angebote abzugeben, um beispielsweise in Kenntnis des Ergebnisses der Angebotsöffnung lediglich dasjenige Angebot zu vervollständigen, das ihm zwar den Erhalt des Zuschlages ermöglicht, aber gleichzeitig für ihn am günstigsten ist. Diese Gefahr ist nach der Auffassung des Bundesgerichtshofes aber hinzunehmen, da sie der Normgeber bei der Schaffung der Nachforderungspflicht des Auftraggebers bewusst in Kauf genommen hat. Die durch die Nachforderung eröffneten Manipulationsmöglichkeiten sind auch kein Spezifikum der Abgabe mehrerer Hauptangebote, sondern ergeben sich in ähnlicher Weise bereits bei der Abgabe nur eines Angebotes. Trotzdem hält das Vergaberecht die Nachforderung fehlender Unterlagen für geboten, um einen möglichst breiten Wettbewerb zu eröffnen und die Anzahl der Angebotsausschlüsse aus formalen Gründen zu reduzieren.
Fazit im konkreten Fall
Ungeachtet dieser grundsätzlichen Aussagen konnte der Bundesgerichtshof die Frage, ob der Bieter im konkreten Fall ordnungsgemäß mehrere Hauptangebote einreichen durfte, im Ergebnis offenlassen. Denn aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs der Einreichung beider Offerten, aber auch aufgrund weiterer Umstände des Vergabeverfahrens ging der Bundesgerichtshof davon aus, dass der Bieter das zweite Angebot anstelle des ersten Angebots habe einreichen wollen und das erste Angebot damit zurückgenommen habe. Damit lag im Ergebnis lediglich ein Angebot vor, das unproblematisch in der Wertung belassen werden konnte. Da im Übrigen die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Ausschreibung nicht gegeben waren, führte die Entscheidung des Bundesgerichtshofes dazu, dass dem übergangenen Bieter der von ihm beanspruchte Schadensersatz zugesprochen wurde.